Ade, Bad Aussee: Im "flipped classroom" mit öffentlichen Daten zum neuen Mittelpunkt Österreichs. Ist das tatsächlich die Zukunft?

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Im STANDARD vom 7. Juni wurde Konrad P. Liessmann (64) zum Thema "Tablets für alle" in der Schule interviewt, worauf am 14. Juni Erich Neuwirth (69) mit einem Kommentar der anderen – "Bildung und digitale Hilfsmittel" – reagierte. Der Interviewerin, Lisa Nimmervoll, kann man nicht nachsagen, dass sie es nicht versucht hätte, dem Philosophieprofessor wenigstens einen positiven Aspekt bezüglich des Einsatzes dieser Geräte abzuluchsen. Aber es wollte nicht so recht gelingen. Mit dem Hinweis, dass man zu Beginn der Industrialisierung ja auch nicht jeden Schüler gleich mit einer Dampfmaschine ausrüstete, gelingt Liessmann eine gute Pointe, der die Interviewerin schwerlich etwas entgegensetzen kann. Und weiter: Auch die meisten Managerkinder im Silicon Valley würden eher in einem tabletfreien, analogen Umfeld von Waldorfschulen unterrichtet als in technisch aufgerüsteten Regelschulen. Soll so sein!

Darauf reagiert der Statistikprofessor und nennt als positiven Effekt des Einsatzes digitaler Hilfsmittel die Gewichtsminimierung der Schultaschen. Diese und E-Books helfen dabei mit, die schwere Last von den Schultern unserer (Schul-)Kinder zu nehmen.

Während sich Liessmann eher aus der konkreten Arbeit im Klassenzimmer raushält, stellt Neuwirth das Konzept der "flipped classrooms" vor und nennt an anderer Stelle als praktischen Aufgabenbereich für seine Studenten, um wie viel genauer diese nun aufgrund der öffentlich zugänglichen Daten den Mittelpunkt (bislang in Bad Aussee) ausrechnen können. Wow – das sitzt! 2:1 für den Informatikprofessor!

Overhead und Rechenschieber

"Bildung", das wissen wir, ist ein weites Feld und umfasst im Allgemeinen die Pädagogik, Schulpsychologie, Schulverwaltung, Schüler-, Lehrer- und Elternvertretungen und vieles mehr. Und immer wieder muss sich auch Bildungspolitik an bestimmten Kreuzungspunkten fragen, in welche Richtung sie weitergehen will. Schwierig jedoch in Koalitionsregierungen! Eine unter vielen zu beantwortenden Fragen ist nun scheinbar die, ob unsere Kinder eher das Wischen am Smartphone richtig gut lernen oder eher das technische Know-how verstehen sollen, das dem Wischen zugrunde liegt.

Sicherlich sehr wichtige Fragen, aber wie viele unserer Generation haben die Taschenrechner und Fernseh- und Videotechnik wirklich durchschaut, obwohl diese Geräte x-fach im Unterricht eingesetzt wurden und vielleicht sogar noch immer werden? Ich dürfte demnach nur den Overhead-Projektor verwenden. Aber schon beim einfachen Rechenschieber verzweifelten wir damals in der zweiten Klasse Gymnasium. Alle mussten ihn kaufen, öfter als vier Mal haben wir ihn aber sicher nicht eingesetzt. Freilich: Hätte es damals schon die "flipped classrooms" gegeben und Youtube, so hätten wir Zwölfjährigen uns zu Hause als Vorbereitung auf die nächste Mathematikstunde ein interessantes Video über den tollen Einsatz von Rechenschiebern anschauen und unsere Professorin dann mit jeder Menge Fragen konfrontieren können, die wir dann in 50 Minuten wahrscheinlich nicht zur Gänze, aber sicher mit einem erhellenden Heureka-Ausruf beantwortet bekommen hätten. Leider so nicht passiert!

Lehrerberufsstand wurde mundtot gemacht

Was fällt dem durchschnittlichen Österreicher bei den vielen Bildungsdiskussionen auf? So wie hier im STANDARD diskutieren in einem mittlerweile ziemlich verweiblichten Berufsumfeld meistens Männer, Experten auch sie, die – wie anzunehmen ist – meistens selber keine Schüler von sechs bis 19 Jahren unterrichten beziehungsweise schon lange nicht mehr in einer Schulklasse Bildungs- und Sozialisierungsverantwortung trugen. Muss ja auch nicht unbedingt sein!

Aber Fakt ist, dass wir nach einem jahrzehntelangen Lehrerbashing diese selbst kaum mehr zu Gesicht kriegen, sie im Radio nicht hören und über ihre Sichtweisen nichts lesen. Sie wurden mundtot gemacht, denn der Lehrerberufsstand wurde und wird in der Öffentlichkeit stets schlechtgeredet: Lehrer hätten einen gutbezahlten Halbtagsjob und viel zu lange Ferien. (Achten Sie darauf, wie bald schon wieder dieser "Vorwurf" durch die Medien geistern wird!) – Hat natürlich auch nichts mit "Bildung" zu tun, sondern mit Neid und viel mehr mit Rache und Häme, denn jeder von uns war ja einmal Schüler, und jeder ist somit gewissermaßen (selbsternannter) Bildungsexperte, den man nur einmal fragen müsste, dann würde er es denen da oben schon sagen.

Und die Bildungspolitik?

Und die da oben hatten seit Beginn des neuen Jahrtausends tatsächlich nicht immer ein glückliches Händchen, was die Bildungspolitik betrifft. Schwarz-Blau legte die Agenden in die tatkräftigen Hände einer alemannischen Handarbeitslehrerin, und was bekamen wir als Eltern an der Volksschulperipherie mit: die Rechtschreibreform und die Kürzung der sogenannten Stützlehrer! Dafür bekamen die Unis Studiengebühren und den Bologna-Prozess. Wurde es besser? Lesen Sie Liessmann! Und drei ältere Herren initiierten 2011 ein Bildungsvolksbegehren mit zwölf Punkten. Ein zu weites Feld, wie sich danach herausstellte.

Eine Bankerin damals im hip-gestylten Bildungsministerium, dann eine Sonderschullehrerin, ein glücklos schwächelnder Uniprofessor später als Bildungsminister, und zum Schluss machte das der Herr Vizekanzler, Parteichef und Wirtschaftsminister so nebenbei mit. Woran bitte sollen wir Österreicher denken, wenn von Bildungsreform(en) die Rede ist? Wann und wo soll(en) diese beginnen, und was soll dabei herauskommen, was dadurch besser werden? Wohin sollen sie führen? Am besten direkt an die Elite-Uni in Gugging. – Auch schon länger nichts mehr darüber gelesen; Sie etwa?

Wisch mal!

Finnland und Pisa-Studie: ein Erfolgsmodell. Schaffen auch wir endlich das Erlernen der Schreibschrift ab, und laden wir unseren Schülern die benötigten Hörbucher runter. Das erspart uns das Lesen und macht uns nur noch moderner. Raus mit den grünen Tafeln und staubigen Kreiden aus den Klassenzimmern, her mit den Whiteboards, Laptops und Tablets, und schon geht's in der nächsten Stunde runter ins Sprachlabor! – Was? Solche gibt's gar nicht mehr? – Und in der großen Pause noch schnell auf Youtube, um später eine gute Frage im "flipped classroom" stellen zu können. – Aber wo bitte ist Badaus See, Frau Lehrerin? – Wisch mal ... (Erich W. Schaufler, 26.6.2017)