Das Therapeutenteam in der ATV-Sendung "Die letzte Chance".

Foto: ATV

Sandor N. hat epileptische Anfälle und Absenzen, Irene S. leidet unter Allergien und Depressionen. Die Schulmedizin hilft nicht weiter, also versuchen die beiden alternative Methoden. Wie es ihnen dabei geht, zeigt ATV vorerst in zwei Folgen von "Die letzte Chance" ab Mittwoch um 21.50 Uhr, der STANDARD sah eine Folge vorab.

Es ist das evidente Problem mit der Selbstentblößung vor der Fernsehkamera: Die Protagonisten geben die Kontrolle über die Ergebnisse ab. ATV schafft Bilder von Menschen, zeigt, wie sie leben und leiden, in gut eingeübten Schnittfolgen. Nach der Therapie geht es besser – oder auch nicht, wir wissen nur, was wir sehen.

Elend offenbaren in vier Minuten

Stilistisch ist "Die letzte Chance" nicht weit von "Teenager werden Mütter" entfernt, indem Assoziationsketten geknüpft werden, die tunlichst in unseren Gehirnen synchron laufen sollen: Wir sehen Irene Schober auf ihrer Couch liegen. "Jeder vierte Österreicher ist chronisch krank", erklärt der Off-Sprecher. Die Botschaft: Aha, nicht nur müde, sondern fertig.

Nachdem Irene S. in wenigen Minuten ihr Elend offenbart hat, dabei Skepsis gegenüber Alternativmedizin und bevorstehender Konsultation zum Ausdruck bringen durfte – begleitet von kurzen Schnitten auf Aschenbecher, leere Bierflaschen, benutzte Pfannen, Schmutzfleck in der Küche, Raumdekorationen und Synthiedauerbeschallung –, sollen alle Synapsen in unseren Köpfen habtacht stehen und "Du musst jetzt mitfühlen!" schreien.

Alternativmediziner als engelsgleiche Armada

Das Leid hat vielleicht ein Ende, schon in der nächsten Einstellung schweben die Alternativmediziner als engelsgleiche Armada auf uns zu, die Musik säuselt, sagt: Verzweifle nicht! Zunächst wird es aber noch einmal hart, richtig hart. Denn sowohl Irene als auch Sandor werden, so viel verraten Vorschausequenzen, durch ein tiefes Tal der Tränen müssen. Iridiologin, Kinesiologin, Astrologen, Medium warten, Ruediger Dahlke ist auch dabei.

An dieser Stelle soll nicht über die Methoden der Alternativmedizin geurteilt werden, wer heilt, hat recht, und wer sich wie und wo Hilfe sucht, ist bis zu einem gewissen Grad Privatsache. Insgesamt übertritt man beim Zuschauen aber eine Schwelle, die ausschließlich dem Privaten zugänglich sein sollte. Dem einen oder anderen wird bei dieser Grenzüberschreitung womöglich doch ein wenig mulmig zumute sein. (prie, 21.6.2017)