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Chinas KP-Chef und Präsident Xi will sich in eine Reihe mit Parteigrößen wie Mao Tsetung und Deng Xiaoping stellen.

Foto: REUTERS/Fred Dufour/Pool

Peking/Wien – Propagandazar Liu Yunshan wiederholte mehrfach seine Botschaft vor den Absolventen der ZK-Parteihochschule, Chinas wichtigster Kaderschmiede. Parteichef Xi Jinping habe seit seinem Machtantritt im Herbst 2012 eine "Serie wichtiger Reden" zur Innen- und Außenpolitik gehalten. Diese Reden verkörperten "lebendigen Marxismus chinesischer Prägung". Alle 89 Million Parteimitglieder müssten sie als "wissenschaftliche Anleitung und Kompass zum Handeln" nehmen und mit Xis "innovativen Theorien ihre Gehirne bewaffnen".

Der Parteichef sei heute der "Kapitän auf dem Riesenschiff China", sagte Liu, der als Mitglied des siebenköpfigen Politbüroausschusses zu den mächtigsten Politikern des Landes gehört. Er knüpfte sprachlich an den einstigen Personenkult um Mao Tsetung an. Damals hieß es: "In der Seefahrt vertraue dem Steuermann, bei der Revolution dem Vorsitzenden Mao."

Ziel: Augenhöhe mit Mao

Lius Elogen auf Xi waren nicht nur dogmatischer Kauderwelsch. Sein Vortrag in der Parteihochschule, der auf zwei eng bedruckten Zeitungsseiten Ende Mai veröffentlicht wurde, ist Teil einer neuen Ideologieoffensive der Parteiführung. Xi versucht sich als Schöpfer einer eigenen Leittheorie. Erst sie bringt ihn auf Augenhöhe mit den Vordenkern Mao und Deng Xiaoping. Beide stehen im Parteistatut mit den "Mao-Ideen" über Chinas Revolution und mit der "Deng-Theorie" über Chinas sozialistische Marktwirtschaft. Schützenhilfe bekam Xi vom ZK-Theoriemagazin "Qiushi" (Die Wahrheit in den Tatsachen suchen). Es pries ihn als marxistischen Erneuerer. Seine "Serie wichtiger Reden" sei die "neueste Errungenschaft und neueste Entwicklung für die Theorie des besonderen chinesischen Sozialismus und Marxismus".

Der Parteichef wird sich auf dem Ende des Jahres geplanten 19. Parteitag von 2.300 neugewählten Delegierten für eine zweite Amtszeit von fünf Jahren bestätigen lassen. Er hat bereits mit seinem großen personalpolitischen Revirement begonnen. Mit einer auf ihn eingeschworenen Mannschaft will er Chinas Aufholjagd verkürzen, um zur dominierenden Weltmacht zu werden.

Innen wartet noch eine Hürde auf ihn. Xi muss sich auf dem 19. Parteitag parteiintern zum unumstrittenen marxistischen Theoretiker küren lassen und mit seiner eigenen Theorie in das Parteistatut und im kommenden März beim Volkskongress in die Verfassung aufgenommen werden. Hongkonger Zeitungen meldeten, dass es dafür schon entsprechende Anträge der Parteiführung gibt.

Eiserne Antikorruptionskampagnen

Dabei scheint der neue starke Mann Chinas den zusätzlichen Theoriehut nicht nötig zu haben. Er hält seine Widersacher durch eiserne Antikorruptionskampagnen in Schach. Er hat sich nach nur viereinhalb Jahren im Amt formal mehr Machtbefugnisse beschafft als alle KP-Vorsitzenden vor ihm, einschließlich Mao. Xis Machtfülle ist gigantisch. Er ist in Personalunion Staats-, Partei- und Armeechef. Vergangenen Herbst ließ er sich zum "Kern" der Partei ernennen. Zudem hat er den Vorsitz in neun sogenannten Leitungsgruppen, die er sich selbst geschaffen hat. Sie sind als Dachorganisationen allen Ministerien und Kommissionen übergeordnet. Xi leitet so den Nationalen Sicherheitsrat, dirigiert den strukturellen Umbau von Wirtschaft, Finanzen, Polizei und Armee und überwacht die Cybersicherheit. Alles ist seine Chefsache von der Taiwan-Politik über die neue Großraumplanung für die Hauptstadt bis zur Fußballreform. Zudem gibt Xi bei den regelmäßig einberufenen Studiensitzungen für das Politbüro den Ton an.

Doch als Theorieschöpfer ist er für die Partei, deren Herrschaft über China ebenso wie Xis absolute Macht nicht demokratisch, sondern ideologisch legitimiert ist, noch ein unbeschriebenes Blatt. Es gibt noch keinen eigenen Namen für seine Theorie. Alle umschreiben sie mit dem Platzhalter-Ausdruck "Xi Jinpings Serie wichtiger Reden".

Als Erster hatte der Leiter des ZK-Parteisekretariats, Li Zhanshu, die "wichtigen Reden" parteiintern im Februar abgesegnet. Sie seien bereits ein "komplettes theoretisches System" und taugten als "Grundlage für eine Leitideologie". Im Mai machte "Qiushi" seine Äußerungen öffentlich.

"Neue Norm"

Li, der einer der engsten Vertrauten von Xi ist, identifiziert als Bestandteile der neuen Theorie etwa Xis "Traum" von der Wiederbelebung der einstigen Größe Chinas, sein umfassendes Sicherheitskonzept nach innen und nach außen. Wirtschaftlich gehöre Chinas Anpassung an eine "neue Norm" dazu, die die Folge des Wandels seiner Wirtschaftsweise und niedrigerer Wachstumsraten ist, sowie Strukturreformen, um wirtschaftliche Fehlplanungen korrigieren zu können, der Kampf gegen Korruption und der Umbau der Armee.

Seit dem Totalausfall von US-Präsident Donald Trump wird China von außen eine globale Führungsrolle angedient. Dadurch gewinnen Xis Vorstellungen über die "Schicksalsgemeinschaft" Chinas mit der Außenwelt ganz neue Konturen, ebenso wie der offensive strategische Ausbau der Seidenstraßen, die Förderung des freien Welthandels und der Globalisierung sowie die Bekämpfung des Klimawandels

Auf der Suche nach einer neuen Theorie haben Pekings Parteiforscher einst populäre Konzepte wie "Chinas Modell" und "Chinas Weg" als zu eng verworfen. Sie liebäugeln mit einem neuen Begriff "Xis China-Plan". Der Staatschef sprach im März 2014 in einer Rede vor der Körber-Stiftung in Berlin erstmals davon. Später bezog er sich bei einer UN-Tagung auf Pekings Unterstützung bei der Bekämpfung des Klimawandels. Zur 95-Jahr-Feier der Parteigründung am 1. Juli 2016 sagte er: "Chinas Kommunisten und das Volk sind sehr zuversichtlich, dass sie mit Chinas Plan zu einem besserem Sozialsystem für die Menschheit beitragen können." Im Mai organisierte die Parteihochschule eine besondere Theoriekonferenz dazu. Dort hieß es, "Chinas Plan" habe nicht nur "die internationale Bedeutung des chinesischen Weges verallgemeinert, sondern führt auch zu praktischen Projekten wie der Entwicklung der Seidenstraßen-Initiative und öffnet für China eine neue Ära seiner Globalisierung".

Zweifel am Zeitplan

Chinesische Kritiker bezweifeln, ob sich daraus bis zum 19. Parteitag schon eine eigene, in sich stimmige Theorie für Xi basteln lässt. Die Webseite des Parteiorgans "Volkszeitung" stellte eine populäre Vereinfachung vor: Es sei Maos Verdienst gewesen, China "aufstehen zu lassen". Deng half, es "reich zu machen". "Xis Plan" sei, China "stark zu machen" – und zur Weltmacht. (Johnny Erling, 21.6.2017)