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Sex und Tragik: Die Stripper Juan und Piroska posieren 1997 vor einem saarländischen Ortsschild. Es kommt zu einem Verkehrsstau.

Foto: dpa/Werner Baum

Wien – Der deutsche Denker und subjektive Idealist Arthur Schopenhauer sagt: "Die Genitalien sind der Resonanzboden des Gehirns." US-Altplayboy Hugh Hefner postuliert: "Sex ohne Liebe ist besser als gar kein Sex." Und der imaginäre Wiener Philosoph und Schriftsteller Dr. Bruno Maria Haussmann gelangt in seinen für die Online-Plattform von Vice Media Austria geschriebenen Blogs zum Thema Die 67 enttäuschendsten Sexfilme aller Zeiten irgendwann zur nachvollziehbaren Post-Midlife-Crisis-Erkenntnis:

"Ich hatte mit Philosophie abgeschlossen – warum sollte ich mich in Bücher über den deutschen Idealismus vertiefen, wenn ich mir im Internet anschauen konnte, wie es ein weiblicher CEO mit ihrer persönlichen Assistentin auf einem Macbook trieb?"

Erfunden hat diesen hochnotgeilen Pornografen und Miesepeter vor dem Klappcomputer der Wiener Autor und Theatermacher Peter Waldeck. Der Kopf hinter der im Zeichen des höheren Blödsinns agierenden Performancegruppe Casa Del Kung Fu im Grenzbereich von "Literatur, Wrestling und Comic" hat sich nach Publikumserfolgen mit theoretisch weitgehend überbaulosen Projekten wie der Filmclubreihe Otakoon Saloon oder Fantomas – das Action-Musical oder Columbo Dreams nun der literarisch verbrämten Totalsexualisierung der Gesellschaft zugewandt, wie sie ja gerade von deklarierten Junggesellenmedien wie Vice noch immer behauptet wird.

Alle guten Pornos sind zwar längst gemacht worden. Aber eben noch nicht alle ganzkörpertätowierten Glatzen in Saunaclubs in Sachsen-Anhalt haben diese mit Wackelkamera und geisteskranken Dialogen nachgedreht. Gugelst du zum Einstieg den Humorklassiker: "Aber warum liegt hier überhaupt Stroh? Und warum hast du eine Maske auf?"

Stiefelknecht und Dildoking

Deshalb liegt die Idee zum Roman nicht nur naheliegend in der Lektüre Peter Waldecks von Michel Houellebecq (mehr so das Gesamtwerk) oder Catherine Millets Das sexuelle Leben der Catherine M. Sprich: Aus Überbau kommt Übermut. Von sexuellen Ausbeutungspraktiken in der Pornoindustrie, Beiwerk wie der streng-männlichen Sicht, Pornografie als weiterem Tool zur sehr kurzfristig wirkenden Befriedigung im Zeitalter der Egoshooter und diesem lästigen Zeug hat man sich ohnehin längst abgesetzt.

Spätestens seit der ehemalige Disneystar Britney Spears vor gefühlt hundert Jahren ihre Liveshows zu Produktpräsentationen des Werkkatalogs von Beate Uhse, Stiefelknecht und Dildoking machte, gilt eines: Alles, was man sich in diesem Bereich vorstellen kann, hat man im Internet auch schon längst gesehen. Deshalb ist die Idee für eine Kolumne über die schlechtesten Sexfilme aller Zeiten für ein Medium wie Vice, das am Schiachen und Schlechten klebt wie der Veitschi an einer Hauswand, auch so berückend.

Der wegen der ausführlichen Sexszenen in seinen Erfolgsromanen Unterbrechung der Kühlkette, Natürliches Taubengift und vor allem Die Gelungenheit irgendwie reich und berühmt gewordene Dr. Bruno Maria Haussmann nimmt seine Sache von vornherein nicht besonders ernst. Ethisch und moralisch geht er es locker an, egozentrisch ist er streng. Nach der für Genrekenner naheliegenden und gnädigerweise noch den Film selbst beschreibenden Eröffnungskolumne Der Pizzabote über einen italienischen Porno aus dem Jahr 1992, in dem – so viel kann verraten werden – absolut nichts passiert, geht es spätestens ab Vagina Dentata und Das Kalksex nicht länger um die Themenvorgabe des Auftraggebers.

Haussmann schildert lieber unter dem Deckmantel von entschieden deprimierenden internationalen Genretiefpunkten wie Der Suppenmeister, Christine – Entweihung im Sommer oder Zorro in der Herren-Sauna Besuche beim Tierarzt wegen seines verlotterten Hundes Baxter. Exkurse zur Theorie "künstlerischer" Pornofilme, zu Drogen und den Ausschweifungen Wladimir Putins mit russischen Opernsängerinnen im VHS-Format kommen ebenso vor wie Streitigkeiten mit seinem besten Feind, dem Kulturphilosophen Franz Sebastian Scheck oder Haussmanns letzter Sex mit einer zweiten Person im Raum: "Am nächsten Tag erwachte ich verkatert, trostloses Licht strahlte in den Raum. Bianca war schon gegangen, auf dem Nachtkästchen lag ein Zettel mit einer kargen Grußbotschaft von ihr."

Das Programm der von Haussmann ausgerufenen "aufklärerischen Enttäuschung" schlägt voll durch. Das Zwerchfell schmerzt vom Lachen. Immerhin hält nicht nur Porno Pleiten bereit, sondern auch das Leben. Haussmann hat trotzdem immer mehr richtigen Sex mit einer gewissen Hilda. Sein Chefredakteur wirft das Handtuch. Das Buch ist aus, das Leben geht weiter. Auch im Internet. (Christian Schachinger, 21.6.2017)