Nach dem Rechten sehen: der damalige Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) bei der Landtagswahl 2013 im Landesstudio Niederösterreich.

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Armin Wolf: "Der zentrale Vorwurf aus der Politik lautet seit einigen Monaten: Die Fernseh-Information würde tun, 'was sie will'. Was ein wirklich interessanter Vorwurf ist. Genau so könnte man nämlich unabhängigen Journalismus definieren."

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Ende März habe ich ein Interview geführt, das ganz erstaunliche Reaktionen ausgelöst hat: ein Bilanzgespräch zum Abschied des niederösterreichischen Landeshauptmannes. Und ich habe ihn dabei auch zu seiner Privatstiftung befragt, die es mittlerweile bekanntlich nicht mehr gibt.

Herr Pröll nannte meine Fragen dazu "Stumpfsinn", warf mir vor, ich würde "lügen", und drohte wörtlich: "Das kommt ohnehin noch zum Chef." Ich fand das alles sehr erstaunlich, da bis heute niemand behauptet hätte, dass auch nur ein Halbsatz meiner Fragen unkorrekt gewesen wäre. Aber gut, man kann ja mal die Contenance verlieren.

Doch einige Tage später hat Herr Pröll ein weiteres Interview gegeben, für News. Dort sprach er von angeblichem "gelenktem Journalismus" im ORF, der eine "Gefahr für die Demokratie" sei, kündigte an, dass man im ORF "nach dem Rechten sehen" müsse, und dachte laut über ein ORF-Volksbegehren nach.

Nun könnte man auch das noch als beleidigte Reaktion eines Politikers im Abgang abtun. Aber ein paar Wochen später sprach auch Vizekanzler Mitterlehner von einem "Volksbegehren für einen objektiven ORF". Jener Vizekanzler, der sich kurz zuvor in einem – erstaunlich wenig beachteten – Ö1-Interview beschwert hatte, dass Medien nicht nur darüber berichten würden, "was die Politik tut, sondern über die Themen, die die Medien interessieren". Auch über die Interviews in der ZiB 2 beklagte sich Herr Mitterlehner: In denen müsse es immer "Sieger und Besiegte" geben.

Auch das könnte noch eine Einzelmeinung gewesen sein. War es aber nicht, wie im Profil zu lesen war: "Es ist unzumutbar für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wenn das TV-Studio wie ein Verhörraum oder eine Anklagebank wirkt", sagte dort ein hochrangiger ORF-Manager. Das war deshalb bemerkenswert, weil der Kollege gar nicht fürs Fernsehen, sondern für die Online-Auftritte des ORF zuständig ist, aber auch – von ihm völlig unbestritten – als prominentester Verbindungsmann der FPÖ in die ORF-Führung gilt. Jener FPÖ, die den ORF sehr häufig und offen attackiert und neuerdings eine Volksabstimmung über Rundfunkgebühren verlangt.

Der von der FPÖ nominierte Vertreter im Stiftungsrat hat ja bereits bei der letzten ORF-Wahl angekündigt, es werde binnen eines Jahres eine neue Geschäftsführung geben, er schreibe bereits an einem neuen Rundfunkgesetz. Vor zwei Wochen ließ er verlauten, er habe nun zwei Versionen in der Schublade: "Ein schärferes und ein weniger scharfes."

"Aus dem Ruder gelaufen"

Aber auch die SPÖ ist nicht untätig. In derselben Sitzung des ORF-Stiftungsrats kritisierte der neue Vorsitzende des sogenannten SPÖ-Freundeskreises, also der sozialdemokratischen Fraktion, die Fernseh-Information sei "aus dem Ruder gelaufen". Das konnte er übrigens nur deshalb dort sagen, weil zuvor ein anderer Stiftungsrat auf eine sehr ungewöhnliche Weise zurückgetreten war. An sich sind ORF-Stiftungsräte ja unabsetzbar. Doch ein Mitglied des SPÖ-Freundeskreises bekam im Mai einen Anruf aus dem Büro des SPÖ-Medienministers: Er möge sich doch bitte auf seinen Hauptjob in einem Bundesmuseum konzentrieren. So wurde über Nacht ein Sitz im Stiftungsrat frei, und nachrücken konnte der ehemalige SPÖ-Kommunikationschef, der nun den roten "Freundeskreis" als Fraktionschef führt.

Prölls Bürochef

Einen Neuzugang gab es gleichzeitig auch im schwarzen "Freundeskreis". Das Land Niederösterreich besetzte seinen ORF-Vertreter neu: mit einem langjährigen Bürochef von Erwin Pröll.

Was bedeutet das alles?

Ich sehe keine andere Erklärung als den Versuch der Politik, wieder mehr Einfluss auf den ORF zu gewinnen. Auf ein Unternehmen, von dem viele Politiker glauben, dass es doch irgendwie der Politik gehört. Und üblicherweise heißt mehr Einfluss auf den ORF vor allem eines: mehr Einfluss auf die ORF-Information.

Praktisch alle Informationssendungen im Fernsehen haben in den letzten Jahren deutlich an Publikum gewonnen, die offensichtliche Unabhängigkeit der Berichterstattung wurde außerhalb und innerhalb des ORF viel gelobt. Das heißt nicht, dass uns keine Fehler passieren. Bei rund 150 Informationssendungen in der Woche ist das – leider – unvermeidlich. Trotzdem müssen wir uns jeden Tag noch mehr bemühen.

Auffällig ist aber, dass sich alle Parteien gleichermaßen über die TV-Information beklagen: Der SPÖ ist sie "zu negativ", für die ÖVP ein "Rotfunk", die FPÖ entrüstet sich über eine angeblich "linke Schlagseite", und Grüne wie Neos reklamieren, sie kämen viel zu wenig vor.

Wenn sich alle beschweren, könnte das natürlich heißen, dass alle recht haben und wir einfach schlecht arbeiten. Das würde allerdings nicht erklären, warum unser Publikum ständig wächst. Es könnte also auch bedeuten, dass wir einfach das tun, was unsere Aufgabe als öffentlich-rechtliche Journalisten ist: über alle Parteien und Politiker gleichermaßen kritisch-distanziert zu berichten.

Interessanter Vorwurf

Der zentrale Vorwurf aus der Politik lautet seit einigen Monaten: Die Fernseh-Information würde tun, "was sie will". Was ein wirklich interessanter Vorwurf ist. Genau so könnte man nämlich unabhängigen Journalismus definieren. Wer denn sonst sollte entscheiden, was und wie der ORF berichtet, als die dafür zuständigen Redaktionen? Die Parteien? Der von Bundesregierung, Landesregierungen und Parlamentsparteien beschickte Stiftungsrat?

Vor wenigen Wochen wurde die TV-Information direkt dem Generaldirektor unterstellt. Und gleich nach der Nationalratswahl soll sie noch weiter umgebaut werden. Es soll auch im Fernsehen "Channel-Manager" geben, Senderverantwortliche für ORF 1 und ORF 2, ähnlich wie für unsere Radiosender. Dagegen gibt es grundsätzlich nichts zu sagen, im Radio funktioniert das seit langem tadellos.

Zwei Aspekte fallen allerdings auf: Lange vor jeder Ausschreibung wurde in den "Freundeskreisen" von SPÖ und ÖVP bereits verkündet, wer diese wichtigen Posten bekommen werde. Bei ORF 2, jenem Sender, auf dem alle großen Informationsformate laufen, ist es ein – nach eigenen Worten – "überzeugter Sozialdemokrat", der öffentlich erklärt hat, es könne nicht sein, "dass wir frühmorgens mit einer Politikerverarschung beginnen und spätabends in einem politischen Verhör enden". Dazu passt übrigens gut der Vorwurf, den ein Publikumsrat aus dem SPÖ-"Freundeskreis" kürzlich erhoben hat: Er ortet im ORF "destruktiven Journalismus".

Das Fernsehen soll aber nicht nur Channel-Manager bekommen, sondern auch für jeden Kanal eine eigene Info-Abteilung. Das ist im Radio anders. Dort beliefert – trotz Channel-Chefs – eine Info-Redaktion alle Radiosender. Im Fernsehen soll es künftig für ORF 1 und ORF 2 eigene, getrennte Redaktionen geben mit eigenen, neuen Chefredakteuren. Wofür es diesen – in Sparzeiten recht aufwendigen – Umbau braucht, habe ich bisher nicht genau verstanden. Aber dass diese Neuorganisation etlichen Politikern ein so großes Anliegen ist, macht einen gelernten ORF-Menschen einigermaßen misstrauisch.

Zwei Kriterien

Natürlich muss ein großes Unternehmen wie der ORF permanent seine Produkte und Strukturen überprüfen, infrage stellen und adaptieren. Als Journalist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk würde ich mir allerdings wünschen, dass die entscheidenden Kriterien für jede neue Struktur und Neubesetzung lauten:

· Können wir damit noch interessanteres, klügeres und kreativeres Programm machen?

· Und stellen wir damit sicher, dass die Redaktionen im ORF so unbeeinflusst und unabhängig wie möglich von jenen Politikern bleiben, über die wir täglich berichten?

Es müssen nämlich nicht Politiker und Parteien mit dem ORF zufrieden sein – unser Publikum muss zufrieden sein: jene Menschen, die mit ihren Gebühren unsere Gehälter, unsere Studios und unsere Kameras finanzieren und für die wir unsere Programme in Fernsehen, Radio und online machen. Dafür wurde öffentlich-rechtlicher Rundfunk erfunden.

Von der BBC gibt es ein schönes altes Motto: Wir wollen unser Publikum unterstützen, qualifizierter am demokratischen Diskurs teilzunehmen.

DAS ist unser Job – nicht Politiker glücklich zu machen. Egal, ob sie eine Privatstiftung haben oder nicht. (Armin Wolf, 21.6.2017)