Kecskemét – Der zweite Tag im Schlepperprozess von Kecskemét stand im Zeichen der ersten Einvernahmen von Beschuldigten. Der Hauptangeklagte, der 30-jährige Afghane L. S., und der gleichaltrige Zweitangeklagte, der Bulgare G. M. I., wollten in dieser Phase des Verfahrens noch keine Aussagen machen. "Ich will zuerst hören, was die anderen sagen", sagte der Afghane am Donnerstag. In dem Prozess sind elf Männer wegen gewerbsmäßiger Schlepperei angeklagt. Vier von ihnen sollen die Fahrt jenes Kühllasters organisiert und durchgeführt haben, in dessen Laderaum im Sommer 2015 an der A4 bei Parndorf 71 Flüchtlinge erstickten. Die Staatsanwaltschaft wirft den mutmaßlich Beteiligten mehrfachen Mord unter besonders grausamen Umständen vor.

Die Schweigsamkeit der beiden Angeklagten veranlasste den vorsitzenden Richter János Jádi, ausführlichst aus den Aussagen der beiden Männer vorzulesen, die diese während des eineinhalbjährigen Ermittlungsverfahrens gemacht haben. L. S. ließ sich lediglich ein paar Informationen zu seinen persönlichen Umständen entlocken: Afghane mit Muttersprache Paschtu, nach eigenen Angaben Studienabschlüsse als Bauingenieur und Psychologe, verheiratet, in Ungarn lebend, um mit Fahrzeugen aller Art zu handeln. "Die Leute bekommen von mir Geld, damit sie etwas kaufen, und sie bringen mir das Geld zurück, wenn sie es verkauft haben", sagte er den Ermittlern.

Flüchtlinge schrien im Laderaum

Auf die Vorhaltungen der Ermittler, dass von ihm "finanzierte" Fahrzeuge bei Schlepperfahrten in Österreich und Deutschland von der Polizei beschlagnahmt wurden, wollte L. S. nicht reagieren.

Als die Ermittler immer mehr Indizien auf den Tisch legten, hielt er sich weiter daran, die Aussage zu verweigern. Bei einem Verhör im Juli des Vorjahres, zitiert Richter Jádi aus den Protokollen, konfrontierten ihn die Anklagevertreter mit den abgehörten Telefongesprächen der Bandenmitglieder rund um die Parndorfer Todesfahrt.

Der Chauffeur und der Fahrer des Begleitwagens hatten mehrfach moniert, dass die Flüchtlinge im Laderaum schreien und an die Wände schlagen würden. Laut der Aufzeichnungen soll der Afghane daraufhin angeordnet haben, einfach weiterzufahren und in keinem Fall die Ladetür zu öffnen, auch wenn das die Eingeschlossenen das Leben kosten sollte. L. S., im Verhör damit konfrontiert, wollte auch dazu nichts sagen.

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"Eine Art Sekretär"

Der Zweitangeklagte G. M. I. erwies sich im Ermittlungsverfahren als weitaus gesprächiger. Er soll für die bulgarischen Fahrer und Späher zuständig gewesen sein. Der Bulgare versuchte seine Bedeutung möglichst kleinzureden. Mit Indizien konfrontiert, gab er jeweils zu, dass das wohl so passiert sei, er aber damit nichts zu tun gehabt hätte. Er sei nur "so eine Art Sekretär" des Afghanen gewesen.

Zu den Abhörprotokollen, laut denen er die mutmaßlich mörderischen Instruktionen des Bandenführers an den Fahrer und den Späher weitergegeben hatte, sagte er im Verhör: "Ich habe doch als Dolmetscher nur weitergegeben, was L. S. dem Fahrer und dem Begleiter des Lkws aufgetragen hat."

Der Bulgare versuchte den Eindruck zu erwecken, eher selbst Opfer seines Bosses geworden zu sein. Dieser soll mit dem Todes-Lkw von Parndorf 70.000 bis 100.000 Euro eingenommen haben. Dem Fahrer und Späher gab er insgesamt 5000 Euro. Er als "Dolmetscher" habe 500 Euro erhalten. "Hätte ich den Lastwagen stoppen können?", zitierte ihn der Richter aus dem Ermittlungsakt. "Dann hätte L. S. seine 100.000 Euro nicht bekommen, und ich hätte damit mein Todesurteil unterzeichnet." Der Prozess geht am Freitag weiter. (Gregor Mayer aus Kecskemét, 23.6.2017)