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Große Momente gibt es immer wieder, aber die ganz aufregenden, schmetterlingshaften, einzigartigen Lebenserfahrungen, die lassen sich nicht endlos wiederholen.

Foto: Getty Images/Paul Bradbury

Ich sitze mit meinen kinderlosen Bekannten zusammen, die mich fragen: Du hast Kinder, aber wann ist es denn jetzt richtig mit den Kindern? Wann passen die in mein Leben? Wann stellt sich denn endlich das Gefühl ein, dass ich mich nicht mehr vor der Verantwortung fürchte? Oder davor, dass meine Frau sich so auf die Kinder konzentriert, dass dann keine Liebe mehr für uns als Paar übrigbleibt? Wann bin ich bereit? Und vor allem: Wofür muss ich bereit sein? Nachts wachbleiben, weil die Kinder nicht schlafen können? Vielleicht die Hand meiner Frau halten, während sie einen Kaiserschnitt hat? Sie stützen, wenn sie danach nicht gehen kann? Da sein für sie und sie nicht zum Lachen bringen dürfen, weil die Narbe so schmerzt?

Es fehlt etwas nach Jahren des Zusammenlebens

Und dann sind die Kinderjahre und die ersten Entscheidungen vorbei. Dann stehen wir wieder vor neuen Entscheidungen, weil nämlich die Notwendigkeiten der Kindererziehung, die große Verliebtheit, die Glücksmomente des Elternwerdens, die euphorischen Gefühle der Kleinkindverliebtheit irgendwann abgelöst werden durch tiefe Vertrautheit, innige Liebe und schönes Zusammenleben mit dem Partner und den Kindern.

Große Momente gibt es immer wieder, aber die ganz aufregenden, schmetterlingshaften, einzigartigen Lebenserfahrungen, das Sich-in-den-richtigen-Menschen-Verlieben, das Einen-Heiratsantrag-bekommen oder die Geburt eines Kindes, die lassen sich nicht endlos wiederholen. Anders gesagt: Das Leben ist schön, es ist sogar richtig großartig, aber irgendwie fehlt einigen von uns nach Jahren des Zusammenlebens mit ein und demselben Menschen etwas.

Was fehlt, vermögen wir vielleicht gar nicht so genau zu sagen. Der Reiz des Neuen lockt uns. Obwohl uns klar ist, dass dieses Andere vielleicht gar nicht so wunderbar ist wie das, was wir jetzt haben. Es ist nur anders, nicht ganz so altbekannt, und scheint uns darum so viel besser und richtiger als alles, was wir gewohnt sind.

Gewohnheit aushalten ist schwer

Gewohnheit auszuhalten, damit tun wir uns schwer. Dann brechen wir aus. Benehmen uns linkisch, kindisch, 17-jährig. Verlieren uns vielleicht in Fantasien mit anderen Menschen, von denen wir wissen, dass deren Realisierung nie funktionieren würde und wir uns nie trauen würden, diese Fantasien umzusetzen. Denn in unseren Fantasien, da können wir uns alles zurechtbiegen und geraderücken, wie es uns passt. Auch die anderen Menschen und uns selbst.

In unseren Fantasien, da sind wir stark und verführerisch. Und vergessen dabei, dass wir das alles jetzt schon in unserer Realität sind. Als Eltern, als Partnerinnen und Partner, als Freundinnen und Freunde. Aber die Gewohnheit, die Sicherheit gebende, für unsere Kinder so notwendige Gewohnheit, die wirkt irgendwann abgenützt und einengend. Obwohl wir sie einst so ersehnt hatten. Und uns dessen auch bewusst sind.

Große Gefühle für die Familie, der Wunsch nach mehr

Die große Romantik, die großen Gefühle, die empfinden wir zwar für unsere Familie, aber wir sind dennoch manchmal auf der Suche nach einem Mehr. Wenn wir diesem potenziellen Mehr begegnen, dann weichen wir meist ängstlich davor zurück, weil wir wissen, dass dieses Mehr vielleicht nicht das Frühstück richtet, den Kindern vorliest, unsere charakterlichen und körperlichen Schwächen akzeptiert und sie mit einem Lächeln wegwischen kann. Manchmal, da ist das Mehr dann wirklich so viel mehr, dass einige von uns nachgeben.

Sehr oft verletzen wir dabei andere Menschen. Eine Person aber verletzen wir damit immer: uns selbst. Weil wir hin- und hergerissen sind. Uns nicht klar darüber werden, was wir sind und sein wollen. Irgendwann wird man vielleicht geküsst oder schläft sogar mit jemand anderem. Mit schlechtem Gewissen, großen Verletzungen und dennoch dem Gefühl, dieses Ausbrechen dringend zu brauchen. Und nur für diesen einen Moment zu leben. Dieser Moment, der so viele andere Momente in Scherben gehen lässt.

Für immer und ewig

Dann stellen wir uns die Frage, ob Dauer überhaupt ein Ziel ist für uns? Oder ob wir lieber mehrere, längere Partnerschaften eingehen sollen. Oder gar Polyamorie-Modelle gut finden müssen, die jetzt in den Feuilletons diskutiert werden. Schauen wir neidisch auf unsere Eltern und Großeltern, die für immer und ewig nicht in erster Linie nur als Wunsch, sondern als gehaltenes Versprechen leben?

Oder reden wir uns ein, es lag an ihren beschränkten Möglichkeiten, an finanziellen Zwängen und an ihrem gesellschaftlichen Umfeld, dass sie das Mehr nie gesehen haben oder nie sehen konnten, wollten und durften? Vielleicht aber, vielleicht haben sie es gesehen und es ignoriert. Wie wir dies in seltenen Momenten, wo uns ein Mehr über den Weg läuft, auch versuchen, obwohl uns das schwer fällt. Vielleicht aber, vielleicht, haben sie einfach erkannt, dass der oder die Wichtigste schon da ist. Und nicht mehr gesucht werden muss. Und dass das Mehr in Wirklichkeit nichts weiter als eine schöne Vorstellung ist.

Wer ohne Fehler ist, wer nie in Versuchung war, wer noch nie über ein Mehr nachgedacht hat, der werfe den ersten Stein. Ich tue es sicher nicht. Und ich bin auch nicht die Erste, die darüber nachdenkt. (Sanna Weisz, 25.6.2017)