So sehen also Revolutionen im Jahr 2017 aus, wenn es um Wirtschaftskammer-Themen geht. Bei der Gewerbeordnung wird nun der Hufschmied doch nicht in die Liste der reglementierten Gewerbe aufgenommen, sondern kann künftig auch ohne Befähigungsnachweis praktizieren. Selbiges gilt für 18 weitere sogenannten Teilgewerbe (hier war bisher ein Lehrabschluss oder Praxiszeiten nötig), die zu freien Gewerben erklärt werden.

Von einer großen Reform, die in anderen Bereichen von Wirtschaftskammer-Vertretern so gerne gefordert wird, kann aber keine Rede sein. Ein Beispiel: Grundsätzlich soll künftig zur Ausübung aller 440 freien Gewerbe ein Gewerbeschein (Single Licence) reichen.

Bürokratiemonster

Hinter dieser gut klingenden Überschrift verbirgt sich aber noch immer ein Bürokratiemonster. Wer nämlich mehr als 30 Prozent seines Umsatzes in einem Gewerbe außerhalb seiner Haupttätigkeit macht, muss das melden (und bei Verstößen Strafe zahlen). Es heißt also ständig mitrechnen: Wie viel Umsatz macht die Werbeagentur mit Fotografie?

Wozu das nötig ist, wenn doch ein Gewerbeschein reichen soll? Nur wegen der für Normalsterbliche kaum bis gar nicht zu durchschauenden Wirtschaftskammer-Strukturen. Wer in verschiedenen Fachgruppen – derer gibt es noch immer über 100 – tätig ist, soll nämlich trotzdem zweimal die Grundumlage zahlen. Also ein Schein, aber zwei Rechnungen.

Gefahr für Leib und Leben

Von einer radikalen Durchforstung der reglementierten Gewerbe will der ÖVP-Wirtschaftsflügel ohnehin nichts wissen. Derzeit gibt es 80 Gewerbe, die ohne Kenntnisnachweis (etwa Meisterprüfung) nicht ausgeübt werden dürfen. Angeblich braucht es hier hohe Hürden, weil es um den Schutz von Leib und Leben, Vermögen oder Umwelt geht.

Wer sich die Liste der reglementierten Gewerbe ansieht, kann bei dieser Argumentation nur den Kopf schütteln: Bäcker, Fremdenführer, Friseure, Fußpfleger, Gärtner, Konditoren, Lebensberater, Reisebüros, Bestatter und, und, und. Alles Bereiche, in denen die Österreicher und Österreicherinnen geschützt werden müssen? Natürlich nicht, es geht nur um den Schutz der etablierten – und in den Kammern verankerten – Unternehmen.

Einfluss der Sozialpartner

ÖVP-Chef Sebastian Kurz könnte hier zeigen, dass er wirklich mit dem starken Einfluss der Sozialpartner auf Parlament und Regierung aufräumen will. Selbiges gilt für SPÖ-Chef Christian Kern, dessen Gewerkschaftsflügel der Wirtschaftskammer bei diesem Thema gerne die Mauer macht.

An Partnern für eine echte Reform würde es nach der Wahl nicht fehlen. Grüne, Neos und sogar die Freiheitlichen wären für einen Schritt in Richtung 21. Jahrhundert zu haben. Man muss nur dazu bereit sein. (Günther Oswald, 23.6.2017)