Leander Haußmann inszeniert zum bereits vierten Mal "Ein Sommernachtstraum": "Ich verstehe gar nicht, wie man dieses Stück nicht gut inszenieren kann."


Foto: Robert Newald

STANDARD: Sie haben vor einiger Zeit wissen lassen, Sie würden für eine Weile dem Theater den Rücken kehren ...

Haußmann: Ich verstehe gar nicht, warum sich von dieser Ankündigung immer alle angesprochen fühlen. Ich mache ja noch schöne andere Dinge in meinem Leben. Dafür danke ich Gott, dass ich das kann und darf.

STANDARD:Sie meinen Ihre Arbeit als Drehbuchautor und Filmregisseur?

Haußmann: Ich spreche vom Spagat zwischen den darstellenden Schwesterkünsten. Der erfüllt mich aber auch mit Häme gegen alle diejenigen, die ihn nicht geschafft haben. Und gegen einen Teil des Feuilletons, dem ich damit immer von der Schippe springe.

STANDARD: Sie verwahren sich gegen fixe Rollenzuschreibungen?

Haußmann: Wenn ich meinen Abschied vom Theater erklärt habe, so dient das eher meiner eigenen Beruhigung. Ich sage auch nicht: Ich höre jetzt für immer mit dem Rauchen auf. Dieses "immer" macht mich fertig. Genauso würde es mich demoralisieren, jeden Morgen mit der Aktentasche ins Theater zu gehen oder drei Inszenierungen pro Spielzeit abzuliefern, bloß damit ich davon leben kann.

STANDARD: Eine auffällige Treue bewahren Sie gegenüber manchen Theaterstoffen. Ihre Burgtheater-Inszenierung von "Ein Sommernachtstraum" ist Ihre vierte dieses Stückes ...

Haußmann: Die Rolling Stones touren seit 40 Jahren mit denselben Songs. Wir sind einfach gut befreundet, das Stück und ich. Wir mögen uns. Das entlastet mich beträchtlich: Ich kenne mich in dem Text einfach gut aus. Es gibt ja viele unterschiedliche Schauspieler, zu unterschiedlichen Zeiten, an den unterschiedlichsten Orten. Selbst wenn ich immer die gleiche Inszenierung machte, sie würde doch immer anders.

STANDARD: In Salzburg vor gut 20 Jahren?

Haußmann: Da hatte ich eine All-Star-Besetzung. Die Festspiele leben davon, dass sie "Gastarbeiter" haben. Die Burg ist dagegen nach wie vor ein Ensembletheater. Ihr ist übrigens sehr zu empfehlen, dass sie das auch bleibt. Der Supermarkt an Talenten in Salzburg war toll, man konnte mit dem Einkaufswagen herumgehen und die prächtigsten Schauspieler engagieren. Außerdem ist das Stück unglaublich. Weshalb ich mich weit aus dem Fenster lehne und sage: Ich verstehe nicht, wie man den Sommernachtstraum nicht gut inszenieren kann.

STANDARD: Inwiefern?

Haußmann: Man geht in die Irre, wenn man meint, mit Oberschläue und Musterschülerhaftigkeit zeigen zu müssen, was das Stück "in Wahrheit" ist. Nehmen wir die Geister, die bei Shakespeare eine entscheidende dramaturgische Funktion innehaben. Die sind bei mir auch Geister und keine verqueren Freud'schen Gedankenspiralen. Die gute Nachricht lautet: Oberon und Titania sind für vieles verantwortlich. Wenn die beiden streiten, kommt es zu Gewitterregen, Kriegen und anderen Unstimmigkeiten. Wenn wir uns darüber ärgern, dass uns der Hut vom Kopf geblasen wird, dann ist dafür vielleicht Puck verantwortlich: ein Feld-, Wald- und Wiesengeist.

STANDARD: Die Geister entlasten uns?

Haußmann: Sie nehmen uns etwas ab. Sie können, wenn sie ihre eigenen Interessen verfolgen, uns furchtbar schaden und die Welt durcheinanderbringen. Das bedingt Konsequenzen, die jemand wie ich sehr spannend findet, ganz einfach, weil ich rasend gerne Geschichten erzähle.

STANDARD: Das meint?

Haußmann: Ich versuche herauszufinden: Wie viel kann man aus einer Szene, einer Situation, einer Figur herausquetschen? Wie lange kann man die Kuh melken? Um das zu schaffen, muss man gut sein. Ich versuche daher, am Stück zu wachsen. Das passiert mir beim Sommernachtstraum offenbar so alle zwei Jahrzehnte. Frank Castorf inszeniert aus Prinzip kein Stück ein zweites Mal. Mich, der ich sein Theater von Jugendtagen an gut kenne, würde hingegen interessieren, wie die Nora, die er in Anklam inszeniert hat, heute aussähe.

STANDARD: Aus Prinzip?

Haußmann: Mich hat zum Beispiel der politische Aspekt des Sommernachtstraums überhaupt nicht interessiert. Athen ist für mich noch heute ein Fest des Pappmachés, der Kulisse, des Flugwerkes. Aber wie kommen die Figuren in den Wald? Was tun sie dort? Wir haben hier ein fantastisches Ensemble, zwei Liebespaare mit etwas reiferen Schauspielern: Martin Vischer, Sarah Frick, Mavie Hörbiger und Matthias Mosbach. Die Handwerker sind Johann Adam Oest, Martin Schwab, Hermann Scheidleder, Hans Dieter Knebel, Dirk Nocker und Peter Matic. Was soll ich da noch machen? Da grenzt doch jede Einmischung fast schon an Blasphemie.

STANDARD: Sie haben sich in Bochum bereits als Intendant versucht. Würde es Sie noch einmal reizen, den Hausvater abzugeben?

Haußmann: Meine Ära in Bochum wurde unter Wert gehandelt. Meine Nachfolger streuten Gerüchte, ich hätte das Haus in die roten Zahlen gestürzt. So entstand die Legende, ich könne das nicht. Als Theaterintendant ist man zur Unfreiheit verdammt. Ich glaube ja an nicht inszenierende Intendanten, dafür an Oberspielleiter. Der Intendant macht diejenigen Dinge, zu denen man als Künstler keine Lust hat. Wenn man ein Haus leitet, bekommt man am Ende immer eine aufs Dach. Mit Gloria und Halleluja wird keiner in die Rente geschickt. Man bleibt meistens zu lange.

STANDARD: Alles trauert doch über Castorfs Regentschaftsende an der Volksbühne.

Haußmann: Bei mir kommt Trauer auf, wenn ich daran denke, wer das Haus übernimmt. Frank steht ja jetzt kurz vor der Heiligsprechung. Ich weiß nicht, ob ihm das passiert wäre, wenn er das Haus weitergeleitet hätte. Das steht in den Sternen und wird in Berlin von einer unsäglichen Kulturpolitik in den Schatten gestellt. Castorf bleibt ein Riese. Wenn er jetzt am Berliner Ensemble inszeniert, so ist das eine Achsenverschiebung. Ich selbst bin ein Einzelkämpfer, ein großer Fan des einsamen Cowboys, der sein Pferd besteigt und die Stadt wieder verlässt. Und vorher den Stern in den Staub wirft. (Ronald Pohl, 25.6.2017)