Männer, Frauen, Presse: ein erstes Freitagsgebet in der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin.

Foto: Imago

Nach Bekanntgabe der Gründung einer liberalen Moschee in Berlin ließ der empörte Aufschrei in einigen europäischen Muslimgemeinden und ebenso in den islamischen Ländern nicht lange auf sich warten. Von einem perfiden Angriff auf den wahren Islam durch die westliche Welt war da die Rede; die an diesem Projekt beteiligten Muslime – allesamt als Verräter gebrandmarkt – wurden auf jede erdenkliche Weise beschimpft, beleidigt, bedroht und diffamiert.

Hält man sich dagegen die Reaktionen auf jene Moscheen vor Augen, von denen zu erfahren war, dass in ihnen Terror und Gewalt verherrlicht und hunderte junge Menschen ermutigt wurden, in Kriegsgebiete zu gehen, um dort unfassbare Verbrechen zu begehen und ihr Leben zu lassen, mutet dieser Aufruhr erstaunlich an. Denn ganz anders als im Fall dieser unscheinbaren Moschee in Berlin ließ sich gegen jene Häuser keine einzige wütende Reaktion vernehmen, blieb die Empörung über Hassprediger, der Ruf, die Menschheit vor solchen Ideologen zu schützen, aus. Kein Vertreter der religiösen Behörden hat je solche Moscheen öffentlich als Verrat am Islam bezeichnet und ihren Trägern derart entschlossen den Kampf angesagt.

Woher kommt diese Wut gegen eine Einrichtung, bei der es sich ja eigentlich nicht einmal um eine richtige Moschee oder gar einen Verein handelt? Wie ich den Videos entnehmen konnte, wurde die Eröffnung weder von einem Freitagsgebet noch von einer religiösen Zeremonie begleitet; vielmehr scheint es hier um den Versuch zu gehen, auf die Benachteiligung muslimischer Frauen hinzuweisen. Was daraus wird, ob die Initiatoren in der Lage sind, eine Moschee zu führen, wird sich zeigen.

Von daher kann ich die Aufregung der Muslime im In- und Ausland nicht verstehen. Wovor haben sie Angst? Halten sie denn den Islam für so schwach, dass ihm durch eine solche Aktion nachhaltiger Schaden zugefügt werden könnte? Kein Muslim ist gezwungen, diese Moschee aufzusuchen und gemeinsam mit Frauen zu beten oder gar seine theologischen Überzeugungen über den Haufen zu werfen. Die Initiatoren kennen ihre theologischen Schwachpunkte und wissen sehr genau, dass hier Verbesserungsbedarf gegeben ist. Um als Imam wirken zu können, bedarf es bestimmter Kompetenzen, konkret setzt die Tätigkeit ein umfassendes Theologiestudium voraus, und hier liegen die wirklichen Probleme der Berliner Moschee.

Das freilich kümmert deren Gegner wenig, die in ihr unbedingt das Ende des Islams, herbeigeführt durch eine Verschwörung der Ungläubigen, sehen wollen, wogegen es die Muslime zu mobilisieren gelte. Es ist die übliche Reaktion gewisser Kräfte auf jede Kritik, auf jedes Ansinnen, Althergebrachtes infrage zu stellen.

Kritisch reflektieren

Wäre es denn so abwegig, Entwicklungen wie in Berlin zum Anlass zu nehmen, die eigene Tradition kritisch zu reflektieren, etwa mit Blick auf die Stellung muslimischer Frauen? Haben wir Muslime uns je ernsthaft mit den Gründen auseinandergesetzt, aus denen es einer Frau angeblich untersagt ist, als Imamin oder Predigerin in einer Moschee zu arbeiten? Haben wir darüber je eingehend debattiert? Auf welcher theologischen Grundlage wird die Frau auf eine bestimmte gesellschaftliche Rolle verpflichtet? Wer hat dem Propheten die Worte in den Mund gelegt, Frauen in staatlichen Funktionen seien ein Zeichen des Weltuntergangs? Wenn Muslime sich Frauen als Gelehrte oder Lehrerinnen in den Gemeinden vorstellen können, warum dann nicht auch als Imamin? Haben denn nicht auch die Frauen des Propheten vor der Gemeinde gepredigt und gelehrt?

Die Muslime scheinen ihrer lebendigen Tradition abgeschworen zu haben und in geistige Stagnation verfallen zu sein, die sich eben auch daran zeigt, dass der Frau eine leitende Funktion ebenso verwehrt wird wie die Teilnahme am Freitagsgebet. Aber können wir wirklich darauf beharren, dass Frauen und Männer nicht gemeinsam beten dürfen, sollte in Berlin nicht möglich sein, was sogar in Mekka öffentlich und massenhaft praktiziert wird? Wer hat das Recht, einer Frau ohne Kopftuch zu sagen, dass ihre Gebete unerhört bleiben? Warum haben wir kaum Frauen, deren Funktion in den Moscheegemeinden über die Essenzubereitung hinausgeht?

Die Antworten sind nicht im Islam zu suchen, sondern in einer Gewalttheologie, die wir als Islam missverstehen. Diese legitimiert die Diskriminierung der Frauen, indem sie sie als Wesensmerkmal der Religion ausgibt, und verhindert so die Hinterfragung dieses theologischen Dogmas. Vielleicht handeln die Initiatoren dieser kleinen Berliner Moschee nicht richtig im klassisch theologischen Sinn. Aber wie steht es um die anderen Moscheen? Um die, in denen die Gründung eines islamischen Staats – wenn nötig mit Gewalt – gefordert wird?

Es wäre also höchst an der Zeit, die Rolle der Moscheen als der Symbole des Islams schlechthin genauer unter die Lupe zu nehmen. Leider gibt es – auch in Österreich – kaum eine Moschee, die nicht aus dem Ausland gesteuert wird. Dass diese Moscheen hier nicht heimisch werden konnten, liegt daher weniger an Diskriminierung als viel mehr an den in ihnen vertretenen theologisch-ideologischen Überzeugungen. Immer wieder wird aus der Opferrolle heraus die Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft propagiert, das Feindbild gepflegt, um den falschen Schein des Auserwähltseins, der moralischen Überlegenheit zu wahren. Aber haben wir Muslime wirklich versucht, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen, haben wir uns bemüht, jenen, die anders denken und leben, mit Respekt zu begegnen? Mittlerweile wissen wir aus vielen Studien, dass die Menschen sich immer mehr von diesen Moscheen abwenden und ihre Religiosität außerhalb, gemäß ihren eigenen Vorstellungen leben.

Keine adäquate Seelsorge

Die Berliner Moschee ist aus der Not geboren, sie spiegelt das Versagen der muslimischen Moscheenkultur in Europa, der es nicht gelungen ist, den hiesigen Lebensverhältnissen gerecht zu werden. Die Moscheen und ihre aus dem Ausland delegierten Imame sind nicht in der Lage, die Situation der Frauen oder gleichgeschlechtlicher Paare zu verstehen, geschweige denn adäquate Beratung oder seelsorgerische Betreuung anzubieten. Unsere Moscheen sind als Orte der Propagierung ausländischer Interessen missbraucht worden. Verunsicherung und Unbehagen, wie sie Migration nun einmal mit sich bringt, wurden ausgenutzt und mit falschen Heilsversprechungen am Leben gehalten.

Die Muslime haben ihre Fähigkeit zur Vielfalt in der Geschichte des Islams immer wieder unter Beweis gestellt. Nun könnte die Gründung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee als Anlass dienen, sich mit der Verfasstheit der eigenen Moscheen und deren Unzulänglichkeiten auseinanderzusetzen. Am Ende wird gewiss niemand gezwungen, seine Gebete in dieser kleinen Moschee zu verrichten. (Ednan Aslan, 23.6.2017)