Sebastian Kurz treibt an. Zumindest rhetorisch. Eine bleibende Formulierung ist von ihm bis jetzt nicht haften geblieben. Angela Merkel ist zurückhaltender, wenngleich ihr Spruch zur Flüchtlingskrise, "Wir schaffen das", um die Welt gegangen ist.

Robin Alexander, ein "Welt"-Redakteur, hat eben im Verlag Siedler das Buch "Die Getriebenen" publiziert. Der Umschlag bildet die deutschen Politiker Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel ab. Doch der "Report aus dem Inneren der Macht" (Untertitel) handelt über weite Strecken vom Kampf zwischen Merkel und Kurz um die Handlungsmacht in der Flüchtlingskrise seit 2015. Man kannte das aus der Kritik, die Kurz an der deutschen Kanzlerin übte. Viele Details aber erfährt man erstmals aus diesem Buch.

Düstere Visionen

Merkel wurde zur Getriebenen. Innenpolitisch nicht durch Kurz, sondern durch CDU-Abgeordnete aus Polizei und Bundeswehr, die die Flüchtlingspolitik so haben wollen wie in Ungarn und Polen. Obwohl es die deutsche Regierung geschafft hat, dass "im Winter 2015/16 kein Flüchtling ohne Obdach bleibt, niemand hungert oder friert.

Zehntausende werden medizinisch versorgt." (zit. Robin Alexander). Das anzuerkennen weigern sich Kurz und der bayrische Ministerpräsident. Beide malen eine dunkle Zukunft, die nicht den Fakten gehorcht, sondern düsteren Visionen. Merkel wurde so an den Rand gedrängt, dass viele damit rechneten, ihr politisches Ende stünde unmittelbar bevor.

Unaufhaltsamer Aufstieg

Auf der anderen Seite begann in den österreichischen Umfragen der unaufhaltsame Aufstieg des Außenministers. Während sich Merkel entschloss, mit der Türkei einen Flüchtlingsdeal auszuhandeln, legte sich Kurz auf einen totalen Bruch zwischen Ankara und Brüssel fest.

Dass die Schließung der Balkanroute durch eine Koalition zwischen Österreich und den Westbalkanstaaten zustande kam, proklamiert Kurz seither als sein alleiniges Verdienst. Sie funktioniert aber nur deshalb, weist Alexander nach, weil der vom österreichischen Außenminister mehrfach düpierten deutschen Kanzlerin der Flüchtlingsdeal mit der Türkei unter Einsatz der Nato-Instrumente gelang. Merkel arbeitete ebenfalls mit Tricks und Fouls. In der Autorendeutung ein Match, das mit 1:1 endete.

Ungewisser Ausgang

Vorläufig. Denn es kommen kaum noch Flüchtlinge. Die großen Fragen seien, so Alexander, wie sich 1.) Syrien entwickelt, 2.) ob die Türkei sich an die Abmachungen hält und 3.) Mazedonien als ein zunehmend vom organisierten Verbrechen dominierter Staat handlungsfähig bleibt.

Merkel wirkt derzeit weniger wie eine Getriebene als wie eine, die das Heft wieder in der Hand hat. Das Match zwischen ihr und Kurz spielte sich 2016 auch im deutschen Fernsehen ab. Mitte 2017 hat sich die Debatte auf ein anderes Thema verlagert – auf die Mittelmeerroute. Ausgang ungewiss. (Gerfried Sperl, 26.6.2017)