Kaum eine Technik der Molekularbiologie hat in den vergangenen Jahren für so viel Aufsehen gesorgt wie die Gen-Schere CRISPR/Cas9. Die Methode ermöglicht es Wissenschaftern, so präzise, schnell und billig wie nie zuvor das Erbgut von Lebewesen zu verändern. Von der Grundlagenforschung bis zu konkreten Anwendungen – die Methode hat das Zeug dazu, die Welt, wie wir sie kennen, zu verwandeln.

Während die Liste von mit CRISPR und anderen Genome-Editing-Verfahren erzeugten landwirtschaftlichen Produkten wächst, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen weitgehend ungeklärt. Anders als klassische Gentechnik-Verfahren können mit der Gen-Schere Mutationen ausgelöst oder einzelne Gene in einem Organismus ausgeschaltet werden, ohne Fremdgene ins Erbgut einzubauen. Am Ergebnis ist dann nicht feststellbar, ob es natürlich entstanden ist oder gezielt verändert wurde. Ob solche Produkte dennoch unter die strengen Gentechnik-Richtlinien fallen oder nicht, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch entschieden. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass diese neuere Methoden der Gentechnik auch in der Landwirtschaft unter die bestehenden Gentechnik-Richtlinien fallen.

Woher kommt die Methode CRISPR/Cas9, wie funktioniert sie, und welche Anwendungen wären denkbar? Antworten auf die wichtigsten Fragen (dieser Artikel ist in einer früheren Version im STANDARD-Magazin Forschung 2/2017 erschienen):

Was ist Genome-Editing?

Unter dem Begriff Genome-Editing werden molekularbiologische Verfahren zusammengefasst, die gezielte Veränderungen im Erbgut von Lebewesen ermöglichen. Durch die präzise Herbeiführung von Mutationen in bestimmten Abschnitten der DNA, dem Träger der Erbinformation, können Gene eingefügt, entfernt, ausgeschaltet, modifiziert oder repariert werden. Seit einigen Jahren steht vor allem eine Genome-Editing-Methode im Rampenlicht: CRISPR/Cas9. Die Technik, oft als Gen-Schere bezeichnet, gilt heute als vielversprechendstes Werkzeug für präzise Eingriffe ins Genom.

Im Bild: DNA-Doppelhelix in einer Computersimulation.

Foto: Getty Images / iStockphoto

Was ist der Unterschied zu früheren Verfahren?

Genome-Editing-Techniken unterscheiden sich von früheren gentechnischen Methoden wie etwa der Transgenetik entscheidend: Erstens können sie bei so gut wie allen Zelltypen angewendet werden – ob bei Pflanzen, Bakterien oder Menschen. Zweitens ist die Veränderung oder das An- und Abschalten von Genen damit weitaus genauer und effizienter, die Werkzeuge dafür sind gleichzeitig viel kostengünstiger und einfacher in der Handhabung. Drittens ist das Risiko, dass auch andere Regionen des Genoms beeinflusst werden, geringer.

Im Bild: Aufnahme aus einem Genetik-Labor in Peking, China.

Foto: APA/AFP

Welche Anwendungen sind denkbar?

Genome-Editing verspricht neben völlig neuen Möglichkeiten in der medizinischen Grundlagenforschung eine Vielzahl revolutionärer Anwendungen, etwa bei der Behandlung von Krebs und Erbkrankheiten oder zur Entwicklung von dürre- und schädlingsresistenten Nutzpflanzen in der Landwirtschaft. Viele Forscher sehen auch ein großes Potenzial, durch widerstandsfähigere Pflanzen Pestizide einzusparen oder Lebensmittel mit höherem Nährstoffgehalt zu entwickeln. In den USA wurde 2016 das erste CRISPR-Lebensmittel zugelassen: Champignons, die nicht braun werden und länger frisch bleiben. Auch für die Herstellung neuer Materialien oder Biokraftstoffe gibt es großes Potenzial.

Im Bild: Aufnahme des Stützproteins Keratin in Krebszellen.

Foto: MPG/ Andriy Chmyrov/Stefan W. Hell

Welche Gefahren und Bedenken gibt es?

Dem enormen Anwendungspotenzial dieser Methoden stehen rechtliche und wissenschaftliche Unklarheiten, gesellschaftliche Bedenken und Ängste gegenüber: etwa wie geneditierte Organismen gesetzlich einzustufen sind, welche ethischen Probleme und medizinischen Risiken aus der Anwendung am Menschen (insbesondere am Embryo) erwachsen, welche Konsequenzen der vergleichsweise einfache Zugang zu Genome-Editing-Technologien haben könnte oder welche Gefahren für Umwelt und Nahrungsmittelsicherheit bestehen.

Im Bild: Künstliche Befruchtung einer menschlichen Eizelle.

Foto: APA/dpa//Ralf Hirschberger

Was bedeutet CRISPR/Cas9?

Der komplizierte Name CRISPR/Cas9 setzt sich aus zwei Teilen zusammen: "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats" (CRISPR) steht für sich wiederholende Abschnitte im Genom von Bakterien, CRISPR-associated9 (Cas9) ist ein Enzym, das die DNA schneiden kann. Daraus entwickelten Forscher ein genetisches Werkzeug, das einfacher, schneller und billiger ist als andere Techniken.

Im Bild: Darstellung des CRISPR-Komplexes in E. coli.

Grafik: Thomas Splettstoesser/CC BY-SA 4

Woher kommt die Technik?

Das System ist eigentlich Teil der Immunabwehr verschiedener Bakterien und Archaeen gegen Viren. Wird ein Bakterium erstmals von einem Virus angegriffen, schneiden sogenannte Cas-Enzyme dessen DNA in kleine Stückchen. Diese Fremd-DNA-Stücke werden dann in bestimmte, sich wiederholende Abschnitte des Bakteriengenoms eingefügt, die CRISPR-Abschnitte. Sie dienen als eine Art Archiv: Kommt es später erneut zu einer Infektion durch das Virus, wird dessen DNA sofort erkannt – und zerstört. Mithilfe dieses Systems "erinnern" sich Bakterien also an Viren, die sie schon einmal angegriffen haben, und schützen sich vor neuen Infektionen. Eine wichtige Rolle kommt dem Enzym Cas9 zu: Es verwendet RNA-Moleküle, die aus den feindlichen DNA-Stückchen transkribiert wurden, um zielgerichtet die virale DNA zu finden und zu schneiden, nicht aber die zelleigene DNA. RNA ist so etwas wie der chemische Cousin der DNA, hat jedoch ganz andere Aufgaben: Sie kommt in vielen unterschiedlichen Typen vor und ist unter anderem für die Übertragung genetischer Informationen zuständig. Identifiziert Cas9 eine virale DNA-Sequenz, die genau zur transkribierten Führungs-RNA passt, wird diese erkannt und zerschnitten. Nach diesem Vorbild entwickelten Forscher die Gen-Schere.

Im Bild: Escherichia coli unter dem Elektronenmikroskop.

Foto: Eric Erbe/Christopher Pooley/USDA, ARS, EMU

Wie funktioniert CRISPR/Cas9 als Werkzeug?

Entdeckt wurde die CRISPR-Sequenz im Erbgut von Bakterien schon 1987 – doch erst 2012 folgte die bahnbrechende Erkenntnis: Das System funktioniert nicht nur in Bakterien, sondern lässt sich in allen lebenden Zellen einsetzen. CRISPR/Cas9 kann mit der passenden Führungs-RNA auf nahezu jede beliebige Stelle in der DNA angesetzt werden und diese präzise durchtrennen. Mithilfe der zelleigenen Reparaturmechanismen können so DNA-Sequenzen entfernt, eingefügt oder verändert werden – dieser Vorgang läuft genau so ab wie bei der Reparatur spontan auftretender DNA-Brüche.

Grafik: Fatih Aydogdu/Text: David Rennert/Quelle: MRS

Wer hat's erfunden?

Darüber scheiden sich nach wie vor die Geister. Die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, heute Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, und die amerikanische Strukturbiologin Jennifer Doudna von der University of California, Berkeley, haben 2012 gemeinsam die Funktionsweise von CRISPR/Cas9 in Bakterien beschrieben. Wenig später hat Feng Zhang vom Broad Institute in Cambridge die Anwendungsmöglichkeit in Eukaryoten veröffentlicht, also in allen Lebewesen, deren Zellen einen Zellkern haben – darunter Menschen, Tiere und Pflanzen. Im folgenden Patentstreit bekam Zhang die Rechte für die Anwendung von CRISPR/Cas9 an Zellen von höheren Organismen vom US Patent and Trademark Office zugesprochen. Das Europäische Patentamt verkündete hingegen, die Ansprüche der anderen Partei zugestehen zu wollen. Seither tobt eine juristische Schlacht um die lukrativen Rechte, bei der Charpentier und Doudna zuletzt einige Etappensiege verbuchen konnten. Der Streit berührt auch die Interessen der Universität Wien, weil Charpentier mit den Arbeiten zu CRISPR in ihrer Gruppe an den Max Perutz Labs der Uni Wien begann.

Im Bild: Emmanuelle Charpentier (links) und Jennifer Doudna 2015.

(David Rennert, 25.7.2018)

Foto: APA/AFP/MIGUEL RIOPA