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Béatrice Huret zeigt in ihrer Wohnung ein Bild des iranischen Lehrers und Flüchtlings Mokhtar, in den sie sich im vergangenen Jahr verliebt hat. Nun muss sie sich wegen Schlepperei vor Gericht verantworten.

Foto: REUTERS/Pascal Rossignol

Ein Fall von Liebe auf den ersten Blick. Béatrice Huret war, wie so viele Einwohner von Calais, betroffen ob all der Männer, die sich 2016 den Mund zugenäht hatten, um gegen die Schleifung des wilden Flüchtlingslagers zu protestieren. Als die damals 44-jährige Familienmutter vor dem "Dschungel" eine Gruppe und dann den Blick des einen Flüchtlings kreuzte, war es um sie geschehen: Für die Polizistenwitwe begann eine neue Liebesgeschichte mit Mokhtar, einem iranischen Lehrer, der unbedingt nach England wollte und nach monatelanger Anreise auf der französischen Seite des Ärmelkanals gestrandet war.

Béatrice Huret entsprach nicht unbedingt dem Bild einer typischen Flüchtlingshelferin: Die einstige Krankenschwester hatte mit ihrem früheren Gatten beim rechtsextremen Front National mitgemacht und für die Partei von Marine Le Pen auch Flugblätter gegen die Immigration verteilt. Wie sie mittlerweile in einem Buch beschrieben hat, bewirkte das Elend der Tausenden von Flüchtlingen an der Nordküste Frankreichs ihr Umdenken.

Boot für den Geliebten gekauft

Sie erlebte mit, wie Mokhtar mehrfach vergeblich versuchte, auf einen Lastwagen zu springen und auf diese Weise auf einer Fähre über den Kanal zu gelangen. Schließlich half sie ihm, als er über das Internet ein kleines Boot kaufte und eines Nachts mit zwei anderen Iranern ins gelobte England aufbrach. Am nächsten Morgen hörte sie im Radio, die britische Küstenwache habe drei Männer aus einem sinkenden Boot gerettet.

Seither besucht Béatrice Mokhtar immer wieder in England, wo er inzwischen den Flüchtlingsstatus erhalten hat. Heute, Dienstag, hat sie aber einen Gerichtstermin. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr "bandenmäßige Schlepperei" vor. Drei weitere Personen, darunter Flüchtlingsaktivisten, sind angeklagt, ihnen drohen bis zu zehn Jahre Haft. Hurets Anwältin hält dagegen: "Sie hat einzig aus Liebe geholfen, ohne dabei etwas zu verdienen."

Hunderte Migranten in Calais

In Calais schlägt der Fall hohe Wellen, denn viele Einwohner sind ähnlich hin- und hergerissen angesichts der Flüchtlingsbewegungen, die in diesem Sommer erneut zunehmen. Die Polizei markiert seit vergangenem Herbst Härte, um die Bildung eines neuen "Dschungels" zu verhindern. Um die Hafenstadt irren erneut Hunderte von Afghanen, Eritreern oder Sudanesen, die teilweise aus Deutschland gekommen sind; doch die Polizei lässt nicht zu, dass sie auch nur zweimal am gleichen Ort übernachten.

Die Zufahrt zum Fährhafen wird scharf kontrolliert. Die Flüchtlinge unternehmen immer gewagtere Versuche, auf einen Laster zu springen. Vor einer Woche starb der Fahrer eines Kleintransporters mit polnischem Kennzeichen, der in eine von Migranten errichtete Sperre aus Baumstämmen gefahren war.

Innenminister Gérard Collomb hat Calais am vergangenen Freitag besucht und erklärt, er werde alles unternehmen, damit sich "die Geschichte nicht wiederholt". Die Polizeikräfte in der Umgebung will er auf 700 Mann aufstocken. "Wir wissen nun, dass wir rasch die Kontrolle verlieren, wenn wir den Dingen ihren Lauf lassen", meinte der von den Sozialisten ins Macron-Lager übergelaufene Minister. "Man beginnt mit einigen hundert Personen und hat zum Schluss mehrere tausend."

Beschwerde gegen Frankreich

Mehrere Hilfswerke haben allerdings Rechtsbeschwerde gegen den französischen Staat eingereicht. Sie verlangen, dass die Behörden zumindest Wasserplätze und Toiletten zur Verfügung stellen und die Essensausgabe zulassen. Schließlich habe Präsident Emmanuel Macron beim jüngsten EU-Gipfel selber erklärt, es sei "unsere Pflicht und Ehre", Flüchtlinge aufzunehmen. (Stefan Brändle aus Paris, 27.6.2017)