Wien – Wer sich für die Geschichte der "feministischen Avant garde" interessiert, kommt an der aktuell laufenden Ausstellung Woman im Mumok nicht vorbei. Zur Vertiefung könnte man dann aber auch ins 21er-Haus gehen, wo das Belvedere derzeit seinen eigenen einschlägigen Schwerpunkt setzt. Picture Again nennt sich die dortige Werkschau der Künstlerin Linda Christanell (geb. 1939).
Gewissermaßen "eingebettet" in eine Sammlungsschau namens Spiegelnde Fenster (bis 14. Jänner), aber nicht unmittelbar mit dieser verknüpft, werden rund 120 Arbeiten aus dem Schaffen der österreichischen Avantgardistin gezeigt. Ihre Filme, für die Chris tanell insbesondere bekannt ist, stehen aber nicht im Mittelpunkt.
Nietzsche und Plexiglas
Einer dieser "Kaderfilme" – aus langsamen Einzelbildern komponierte Filme, die man der Verständlichkeit halber salopp als "Diashows" beschreiben könnte – läuft zwar. Im Vordergrund steht aber ihr Kontext, also das seit den 1960er-Jahren entstandene viel gestaltige Œuvre Christanells, das sich aus Karton-, Plexiglas- und Textilobjekten, performativen und fotografischen Arbeiten zusammensetzt.
Hier trifft auf einer Fotografie eine Postkarte, die einen kitschigen Filmkuss zeigt, auf ein Nietzsche-Zitat (Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern zu gebären, 2011); dort sitzt ein Figürchen in einem kreuzförmigen Spielzeuggefährt, dessen Chassis eine Plexiglasröhre ist (1960); dazwischen finden sich wie Ritualgegenstände anmutende Objekte, etwa ein Tragbarer Schrein aus Holz (1975) oder eine Art Geißel aus Leinen.
Was derlei Arbeiten zusammenhält, ist die starke Betonung des sinnlichen Moments. Unüberspürbar ist zum einen Christanells Liebe zum Analogen und zum "Handwerklichen". Zum anderen sind es aber auch Fragen der Berührung im körperlich-erotischen Sinne, die Christanell für die feministische Bewegung stellte: Fragen der Sinnlichkeit als Mittel weiblicher Selbstermächtigung.
Über das Anlegen ihrer textilen Objekte an den Körper, etwa des Fingerfächers, fand Christanell in den 1970er-Jahren zur Performance, die sie ab 1976 etwa auch im Kollektiv BC mit Renate Bertlmann betrieb. Als bloße Fantasie vermittelt sich die zärtliche Berührung indes, wenn nun im 21er-Haus etwa die Arbeit Die Gaben der Göttin (1985) gezeigt wird, eine Vitrine voll zierlicher Leinenpölsterchen.
Tatsächlich handelt es sich bei dieser Arbeit um ein größer angelegtes Spiel mit Versatzstücken aus Religion, Pop-, Hoch- und Handwerkskultur, in dem weibliche Rollenklischees hinterfragt werden sollen. So sind die teils mit Kreuzen verzierten Pölster einerseits mit (natürlich handschriftlich festgehaltenen) Literaturzitaten kombiniert – und andererseits mit kitschigen, gefundenen Armbändern, die die Worte "sexy" und "kiss" tragen. (Roman Gerold, 27.6.2017)