Sie wurden einfach an ihre Mörder ausgeliefert. Die niederländischen Soldaten, die am 13. Juli 1995 die 350 Bosnier aus dem geschützten Areal der Uno in Potočari in der Nähe von Srebrenica hinausschickten, sind nach dem Gerichtsurteil des Hohen Rats in Den Haag vom Dienstag teilweise für die schmerzlichen Verluste der Angehörigen der Ermordeten verantwortlich. Das Gericht legte die Teilschuld der Niederlande an dem Massaker und damit die Höhe der Wiedergutmachungspflichten mit 30 Prozent der entstandenen Schäden fest. Es bestätigte damit teilweise ein Urteil aus dem Jahr 2014. Denn die niederländischen Soldaten waren dafür zuständig, die Bevölkerung zu schützen. Als Srebrenica am 11. Juli 1995 von bosnisch-serbischen Truppen eingenommen wurde, flohen die Zivilisten in das UN-Lager. Doch das Dutchbat – so hießen die niederländischen Einheiten – ließ zu, dass Männer durch serbische Einheiten von den Frauen und Kindern getrennt und danach ermordet wurden.

Mit ihrem Urteil, gegen das vor dem Höchstgericht noch Berufung eingelegt werden kann, folgen die niederländischen Richter vorhergegangenen Entscheidungen. In einem ähnlichen Fall hatte Hasan Nuhanović den niederländischen Staat im Jahr 2010 geklagt. Nuhanovićs Mutter, Vater und Bruder wurden ebenfalls im Juli 1995 von serbischen Einheiten ermordet, weil die niederländischen Soldaten trotz seiner Bitten Nuhanovićs Angehörige nicht schützten, sondern aus dem Lager wiesen.

Der Hohe Rat hatte bereits 2013 ein Urteil von 2011 bestätigt, wonach ein Staat, der Truppen an die Uno entsendet, für diese mitverantwortlich ist, auch wenn diese unter Uno-Mandat operieren. Nun sind die Niederlande ein zweites Mal in zweiter Instanz für das Verhalten ihrer Uno-Soldaten verantwortlich gemacht worden.

Die Urteile in den Niederlanden sollten auf die Entsendestaaten und die Operationen der Uno Auswirkungen haben – denn die festgestellte Haftbarkeit inkludiert gleichzeitig eine Verpflichtung zu mehr Verantwortung und Sorgfalt, was angesichts der vielen Skandale der Uno-Soldaten weltweit dringend notwendig ist. Das Urteil zur Verantwortlichkeit für das Massaker in Srebrenica streift allerdings nicht die wirklich entscheidende politische Frage.

Politik der ethnischen Säuberungen war bekannt

Denn das wirklich Unverständliche ist, weshalb die Uno, die Europäische Gemeinschaft und die Nato nicht verhindert hatten, was im Juli 1995 nach dem Fall von Srebrenica folgen würde: der orchestrierte Massenmord an Menschen mit muslimischen Namen durch bosnisch-serbische Einheiten und Freischärler. Zu dem Zeitpunkt, als das Massenverbrechen rund um Srebrenica im Juli 1995 begangen wurde, war nämlich bereits seit Jahren allen bekannt, dass die Politik der ethnischen Säuberungen zentraler Bestandteil der Kriegsführung war.

Bereits 1992 hatten serbische Einheiten ethnische Säuberungen gegen Menschen mit muslimischen und katholischen Namen im Drina-Tal und rund um Prijedor durchgeführt. Damals wurden tausende Menschen ermordet, mehr als später 1995 rund um Srebrenica. 1992 wurde weggeschaut, und 1995 wieder. Doch 1995 hätte man mit dem Wissen, das man bereits hatte, alles tun können, um das Verbrechen und das danach folgende Leid der Angehörigen zu verhindern.

Das noch Unverständlichere ist, dass es bis heute in der gesamten Region politische Eliten gibt, die versuchen, diese Massenverbrechen an Menschen mit muslimischen Namen zu verharmlosen, zu leugnen oder diesen Menschen selbst in die Schuhe zu schieben. Allein wegen dieses Hohns und um der Fakten willen sind die Gerichte weiter gefragt. (Adelheid Wölfl, 27.6.2017)