Beide Parteien machen ein ernsthaftes Problem zum Spielplatz für populistische Ideen.

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Die gute Nachricht zuerst. Die Nochregierung ist bei einem Thema einer Meinung. Beide Parteien, sowohl Christian Kerns SPÖ als auch Sebastian Kurz' Liste Kurz – aktuell als ÖVP in der Regierung vertreten -, wollen den Pflegeregress abschaffen. Sogar die Opposition signalisiert Zustimmung.

Das ansonsten so stiefmütterlich behandelte Thema Pflege ist plötzlich im Vorwahlkampf angekommen. Wie ist das passiert? Heißt das, dass wieder einmal um die Stimmen der Pensionisten gebuhlt wird? Erinnerungen an jene finale Parlamentssitzung am 24. September 2008 werden wach, in der sich die Regierungsparteien beliebige Mehrheiten suchten und Wahlzuckerln in der Höhe von 4,8 Milliarden Euro beschlossen. Damals wurden etwa Pensionen und Pflegegeld erhöht.

Auch diesmal dürfte der Kampf um Stimmen das Vorhaben beschleunigen. Die eigentlichen Probleme – eine älter werdende Gesellschaft, keine einheitliche Qualität bei Pflege und Pflegeausbildung, der Graubereich 24-Stunden-Pflege – bleiben dabei ausgespart, obwohl es genug zu tun gäbe.

Den Pflegeregress – den Zugriff auf das Vermögen von bedürftigen Personen in Pflegeheimen und deren Angehörigen, also Erben – abzuschaffen ist ein konsensualer, wahlkampftauglicher Schritt. Selbst Kurz ruft hier nach Solidarität und argumentiert, dass Pflegebedürftigkeit mit Krankheit gleichzusetzen ist. Kosten und Last dürften nicht dem Einzelnen aufgebürdet werden. Das sind Argumente, die bisher nur von der roten Regierungshälfte zu hören waren.

Aber es wäre nicht die rot-schwarze Koalition, wenn es hier nicht einen gravierenden Unterschied gäbe: die Pläne für die Finanzierung. Beide Parteien schaffen es, dem Thema einen Spin zu geben und es mit ihren Anliegen zu verknüpfen. Die SPÖ will die Abschaffung des Pflegeregresses mit ihrem alten Anliegen, einer Erbschaftssteuer, finanzieren. Und Kurz sieht hier – wieder – die Möglichkeit, Misstrauen und Neid zu schüren: Er will Sozialbetrug eindämmen und den Zuzug von Ausländern ins Sozialsystem verhindern.

Doch beide Parteien irren: Es sind utopische Konzepte, die ein für viele Menschen ernsthaftes Problem damit zum Spielplatz populistischer Ideen machen. Und auch wenn beide mit Solidarität und Gerechtigkeit argumentieren, stellt sich die Frage, wie treffsicher es ist, wenn der Staat die Pflegekosten für die Gesamtbevölkerung übernimmt. Das erinnert sehr an das Gießkannenprinzip: Gleiche Zuwendungen für alle bedeuten selten gerechte Verteilung.

Gleichzeitig wird auch wieder das Grundproblem in Österreich ersichtlich: Die Regressregelungen sind in den Bundesländern unterschiedlich. Pflegefälle in Vorarlberg werden anders behandelt als in Wien – ein Systemfehler des Föderalismus. Das weiß auch Kurz. Diese Unterschiede, die nicht nur die Pflege, sondern viele Bereiche des Gesundheitssystems betreffen, abzuschaffen, hätte der ÖVP-Chef auch in sein Zehn-Punkte-Programm aufnehmen können.

Es mag schwierig sein, den Wählern zu erklären, warum die Finanzierung der Pflege den Staat vor große Hürden stellt. Es ist jedenfalls eine Herausforderung, die noch Generationen belasten wird. Stattdessen Fotos für E-Cards zu fordern, um Betrug zu verhindern, ist eine populistische Ansage. Das ist ein Problem, das kaum existiert: Die Schadensmeldungen sind verschwindend gering. Das weiß auch Kurz. (Marie-Theres Egyed, 27.6.2017)