Warum sollten Schülerinnen und Schüler nicht mit einem Tablet das persönliche Lerntempo bestimmen und letztlich die Aufgabe fehlerfrei und mit direkten Rückmeldungen lösen?

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Altes hat sich bewährt. Neues muss erst verstanden werden. Es braucht Akzeptanz, Mut und Innovation. Neues bringt Unruhe. Und doch ist es notwendig. An der Schwelle zu einer digitalen modernen Gesellschaft, sind wir gezwungen, das Neue anzuerkennen.

Schule 4.0, Schule 5.0 – was kommt noch? Es sei ein Hype, nach dem ein nächster folge, meint Konrad Paul Liessmann im STANDARD-Interview. Und in gewohnter Manier kritisiert der Philosoph die Digitalisierung als eine Normierung auf einer niedrigen Ebene. Bildung sei doch das Gegenteil davon. Normativ, sein Statement gegenüber dem Digitalen. Irgendwie könnte man auch eine andere Diskurslinie verfolgen: Dem Digitalen das Analoge entgegenzustellen und als "hybriden Raum" zu sehen. Als jenen Ort des Diskurses, in dem gerade wegen der Bedeutung des Digitalen das Analoge Platz findet. Bildung würde dann bedeuten, sich bewusst zu werden, was digitale Medien mit uns machen und damit die analogen Vermittlungsprozesse ergänzen.

Zukunftsgerichtet, nicht rückwärtsgewandt

Tatsächlich wirbt ja die gesamte Bildungslandschaft – der Autor dieser Zeilen miteingeschlossen – mit der Ansage, dass Schule digital wird. Die vielfach zitierte Ausgangshypothese lautet: Digitale Medien werden unsere Schulen so fundamental verändern, wie dies zuletzt mit der Einführung des Buchdrucks geschah. Mit einigen epochalen Unterschieden. Was sind nun die großen Herausforderungen? Wer ist betroffen? Und wieviel Digitalisierung brauchen wir wirklich?

Die Bildungspolitik wird gut daran tun, sich all diesen Fragen kritisch zu stellen. Offen und zukunftsgerichtet und nicht rückwärtsgewandt. Die evolutionäre Unruhe ist damit eine Chance für den Beginn von etwas Neuem. Sind es doch zuerst die technischen Entwicklungen und erst dann die gesellschaftlichen Reaktionen, wie der Soziologe Dirk Baecker formuliert, die uns immer wieder in reaktive Zustände versetzen. Somit stehen wir tatsächlich vor einem paradigmatischen Wandel der permanenten Reaktionen. Getrieben durch digitale Medien. Die gesellschaftliche Zurückweisung dieser digitalen Entwicklungen scheint zwar durchschritten zu sein, die Anerkennung des enormen medialen Wandels braucht aber noch viel Innovation und Durchhaltevermögen. Und vor allem Reflexionsbereitschaft. Die Bereitschaft darüber nachzudenken, wie wir zwischen dem Analogen und dem Digitalen variieren wollen. Kurz: Solange wir die Möglichkeit haben, zwischen den Welten des Digitalen und des Analogen zu wechseln, wird die Bedrohung der "Normierung auf niedriger Ebene" eine geringe bleiben.

Für Verständnis von Welt und Gesellschaft

In Schulen und Hochschulen mag es daher dringend angesagt sein, sich mit Fragen der umfassenden Medienkompetenz, der digitalen Didaktik und der damit verbundenen gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit zu beschäftigen. Die Initiativen laufen. Intensiv, aber zweifellos noch ausbaufähig. Da gibt es etwa Unterrichtsbeispiele, die bereits Kinder in der Grundschule auf die Dynamik von Werbung aufmerksam machen. Mit Tablets erkunden sie selbständig und verantwortungsbewusst Beispiele aus dem Medienalltag. Und weshalb sollten sich Schülerinnen und Schüler nicht selbst über Alexander den Großen multimedial gestützt erkunden und anschließend in einer Lernplattform Fragen beantworten? Oder warum sollte es nicht angezeigt sein, Schülerinnen und Schülern in einem sanktionsfreien Raum mit einem Tablet das persönliche Lerntempo bestimmen zu lassen und letztlich die Aufgabe fehlerfrei und mit direkten Rückmeldungen zu lösen?

Die intensiven Bemühungen des Bundesministeriums für Bildung im Bereich e-Education sind daher keine leeren Lippenbekenntnisse, sondern eine Notwendigkeit für die Schule einer modernen Gesellschaft. Ja, sie sind Voraussetzung für das Verständnis der Veränderung von Welt und Gesellschaft.

Aus den Fesseln der Traditionen lösen

Seit geraumer Zeit werden auch angehende Pädagoginnen und Pädagogen auf diese Aufgaben intensiv vorbereitet. In ihren Grundstudien und in laufenden Fortbildungen durch die Pädagogischen Hochschulen.

Insbesondere Hochschulen und Universitäten sind aber in ihrer institutionellen Robustheit besonders gefordert, sich den Turbulenzen der Digitalisierung zu stellen und sich daher mit abweichender Logik aus den Fesseln ihrer Traditionen zu lösen. Damit könnte sogar ein Ende der Reformen eingeläutet werden, weil es für Hochschulen und Universitäten ein selbstverständlicher Modus wäre, sich der permanenten Weiterentwicklung zu verschreiben. Auch in Bezug auf den Einsatz von digitalen Medien.

Gemeint ist jene "oszillierende" akademische Tradition und Austarierung, die möglicherweise zeitgemäße Bildung beschreiben wird: Der Anspruch an eine theoriebasierte aber auch praxisorientierte Lehre und Wissensvermittlung. Die Akzeptanz und Selbstverständlichkeit von digitalen Medien in der Lehre. Die Notwendigkeit von Zeiten der Entschleunigung durch fundamentale Anregungen aus anderen Lebens-, Arbeits- und Bildungsbereichen. Und, die Erkenntnis und Urteilskraft, dass jede Wahrheit auch als Unwahrheit betrachtet werden könnte.

Mediale Ungewissheiten

Immer seien es die Ungewissheiten in die die Hochschulen verwickelt werden, um ihre Erfolge zu erkennen und ihren Bestand zu sichern, hatte der Philosoph Jacques Derrida sinngemäß formuliert. Unter diesen Gesichtspunkten der skizzierten medialen Ungewissheiten dürfen wir uns durchaus darüber Gedanken machen, was jenseits jener wohlmeinenden Empörung über die Digitalisierung das Geheimnis der digitalen Medien für Bildung ist und sein wird. Das Neue wird dann unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr als neu erscheinen, sondern vielmehr als eine Art "Sehnsucht und Möglichkeit nach Wahlfreiheit". (Josef Oberneder, 28.6.2017)