Franklin James Fisher (Zweiter von rechts) und seine Band Algiers rufen trotz Endzeitstimmung zum politischen Widerstand auf.


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Wien – Die Kirche der letzten Tage hat immer Saison. Und so wie die dazugehörige die Produktpalette ergänzende Hölle hält sie ihre Tore für die geneigte Kundschaft 24 Stunden lang – und das sieben Tage die Woche – geöffnet. Möglicherweise war immer schon alles schrecklich, und das mit dem drohenden Weltuntergang und seinen Propheten zieht sich durch die Menschheitsgeschichte, spätestens seit die Gallier in einem uns wohlbekannten Dorf Angst davor hatten, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt.

Und vielleicht hat das heute wie noch nie boomende Geschäft mit dem Untergang nicht nur mit durch Hysterie am Laufen gehaltenen Massenmedien sowie der Tatsache zu tun, dass ein Tweet schneller reist als die Pferdepost. Möglicherweise ist es ja angesichts der zunehmend aggressiven Stimmung in der gesellschaftlichen Gesamtsituation auch einfach so, dass die Lage tatsächlich immer beschissener wird. So.

Auch wegen der realen Terrorbedrohung oder aufgrund des Rechtsrucks oder dank etlicher brandgefährlicher Krisenherde oder wegen gut über den Globus verteilten Irren an den Hebeln der Macht und an den roten Knöpfen macht sich also heute mehr denn je Endzeitstimmung breit.

Hallo, der Mensch liebt Katastrophen! Immerhin handelt es sich bei ihm seit seinem Auftreten auf dem Planeten vor ein paar hunderttausend Jahren um die größte destruktive Kraft, die der Erde, abgesehen von diversen Asteroideneinschlägen, je zugemutet wurde.

Der Kirchenchor am Ende

Wenn es vorher niemand anders tut (Achtung, angeblich schon wieder fremdes Leben im All entdeckt!), werden wir irgendwann von einem schwarzen Loch gefressen werden, dass wir selbst aus rein wissenschaftlichem Interesse irgendwo an einem geheimen Ort in der Schweiz hergestellt haben. Das wird uns dann eine Lehre fürs Leben sein.

Der Zorn und die Wut wachsen also – und die transatlantisch zwischen den USA und Großbritannien agierende Band Algiers beschränkt sich nun nach ihrem Debüt von 2015 nicht länger darauf, den Kirchenchor zum nahenden Ende beizusteuern. Die Songs des namenlosen Erstlings überzeugten damals nicht nur wegen der im Rhythm 'n' Blues oder Soul ebenso wie im Southern-Gothic-Amoklauf eines Nick Cave mit The Birthday Party geschulten Stimme ihres Chefpredigers Franklin James Fisher. Irgendwo zwischen Otis Redding, O. V. Wright, Gospel oder den politischen Raps Gil Scott-Herons aus der grauen Vorzeit des Hip-Hop mit Klassikern wie The Revolution Will Not Be Televised angesiedelt, bestand auch die wuchtige Musik aus klassischen Zutaten. Allerdings wurden sie neu gemischt.

Matador Records

Zu den Soul- und Gospelelementen sowie Motiven aus dem Genre des Call-and-Response-Gesangs der Worksongs gesellen sich nun auch auf der neuen Arbeit The Underside of Power die gewohnten zusätzlichen Botenstoffe: pure elektronisch generierte Noise-Schlieren und pochende Beats aus der Suicide-Schule, Revolten-Hip-Hop von Public Enemy, der trocken-funkige Hardcore von Fugazi – oder der aufsässige Postpunk, den einst Killing Joke, Bauhaus oder Public Image Ltd. produzierten.

Unter der Regie Adrian Utleys von Portishead entdeckt die Band nun auch ihre radikale politische Seite. Die multiethnische Band beschäftigt sich nicht nur mit Polizeigewalt und Rassismus. Wie eine eingangs eingeblendete Rede des Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton zeigt ("I am a revolutionary!"), arbeiten Algiers in Zeiten drohenden Zerfalls die Geschichte revolutionärer politischer Bewegungen zwischen den USA, Algerien oder Kuba auf. Das macht diese wilde, wütende und trotzdem gut hörbare Musik so wichtig und zwingend.

Ein Album des Jahres: "We won't be led to slaughter / This is self-genocide / It's the hand of the people that's getting tenser now / And when we rise up... / Woo, I feel it coming down!" (Christian Schachinger, 29.6.2017)