Das Bundesverwaltungsgericht habe bei der Entscheidung zur dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat vor allem den Klimaschutz und den Bodenverbrauch in einer verfassungswidrigen Weise in seine Interessenabwägung einbezogen, entschieden die Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtshofs.

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Wien – Die Wirtschaftsseite ist naturgemäß erfreut. Der Verfassungsgerichtshof hat das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) gegen den Bau der dritten Piste am Flughafen Wien aufgehoben. Er gab damit einer Beschwerde des Flughafens Wien und der niederösterreichischen Landesregierung statt.

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Von einem "sehr guten Tag für den Wirtschaftsstandort Wien" spricht Walter Ruck, Präsident der Wirtschaftskammer Wien. Ähnlich tönt es aus der WKÖ. Thomas Schäffer, Vorsitzender des Angestelltenbetriebsrats am Flughafen Wien äußert sich erleichtert und ortet ebenfalls ein "wichtiges Signal in Richtung Sicherung des Wirtschaftsstandorts und Schaffung von neuen Arbeitsplätzen: "Wien ist ein Verkehrsknotenpunkt in Europa, der Flughafen spielt eine ganz wesentliche Rolle – von einem Nostalgiepark können wir nicht leben."

Pistengegner enttäuscht

In die nämliche Kerbe schlägt ÖVP-Verkehrssprecher Andreas Ottenschläger. Dennoch hält Ottenschläger an der Idee fest, das von der Koalition eingebrachte B-VG Staatsziel – das derzeit auf Eis liegt – zu beschließen. Weniger erfreut sind naturgemäß die Pistengegner. Deren Rechtsvertreter Martin Fischer ortet gar "eine politisch motivierte Entscheidung." Aufgeben wollen die Gegner nicht, wie Adolf Hrncir von der Antifluglärmgemeinschaft (AFLG) erklärt. Der Grüne Klubobmann, Albert Steinhauser spricht von einem ein Rückschlag für den Klimaschutz. Das Gegenteil sei der Fall, so Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), das sei eben "keine Entscheidung gegen den Klimaschutz, sondern eröffnet eine zukunftsweisende Chance für den Arbeits- und Wirtschaftsstandort in Niederösterreich."

Kein Vorrang für den Klimaschutz

Gerhart Holzinger will eines klargestellt wissen: "So entschieden zu haben heißt nicht, dass die untere Instanz interessensgeleitet war." Was der Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) damit meint, ist die umstrittene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), das – wie berichtet – den Baustopp für die dritte Wiener Flughafenpiste verfügte. In der Sache selbst kamen die Verfassungsrichter zum gegenteiligen Schluss: Der Baustopp ist verfassungswidrig, das Erkenntnis ergo aufzuheben. Der Richtersenat habe vor allem Klimaschutzerwägungen in verfassungswidriger Weise in die Interessensabwägung einbezogen.

Noch etwas ist Holzinger neben den Sachfragen wichtig: Zweifel an der Funktionstüchtigkeit der Verwaltungsgerichte habe er trotz mancher Anfangsschwierigkeiten nicht. Entsprechende Äußerungen in der jüngeren Vergangenheit "wären besser unterblieben". Die Rechtssache geht nun zurück an das BVwG, das eine neuerliche Entscheidung treffen muss. Holzinger holt weit aus, um "die sehr strittigen Fragen zu erklären und nicht zu kommentieren". Juristisch gesprochen habe das BVwG "die Rechtslage in mehrfacher Hinsicht grob verkannt". Dies belaste die Entscheidung mit Willkür, es verletze die Parteien im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz. Die Begründung des Richtersenats für den Baustopp sei mit Blick auf bisherige Entscheidungen und die geltende Rechtslage schlicht falsch.

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Konkret ging es um die im Luftfahrtgesetz genannten "sonstigen öffentlichen Interessen". Die Bundesverwaltungsrichter hatten hier etwa den Bodenverbrauch und Klimaschutz ins Treffen geführt. Für den VfGH ein Fehler bei der Auslegung der Staatszielbestimmung des umfassenden Umweltschutzes. Es sei zwar verfassungsrechtlich geboten, den Umweltschutz bei der Abwägung von Interessen für und gegen die Genehmigung eines Projekts einzubeziehen. Das gebe aber – salopp gesagt – das Luftfahrgesetz nicht her, so Holzinger.

Dazu komme, dass sich das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Auswirkungen der Emissionen fälschlich auch auf Rechtsgrundlagen und internationale Abkommen wie das Kioto-Protokoll beruft, die es in diesem Fall nicht hätte heranziehen dürfen. Das Kioto-Protokoll sei durch die Erlassung von entsprechenden Gesetzen mit Leben zu erfüllen, die Luftfahrt sei vom Klimaschutzgesetz gar nicht erfasst, sagt Holzinger. Auch das Klimaschutzziel in der niederösterreichischen Landesverfassung dürfe für die Auslegung des Luftfahrtgesetzes nicht herangezogen werden, weil dieses nur für den Wirkungsbereich des Landes anzuwenden sei.

Schlicht fehlerhaft und sachlich nicht begründbar seien die Berechnungen der CO2-Emissionen. Das BVwG hat in seiner Prognose für das Jahr 2025 Emissionen berücksichtigt, die während des gesamten Fluges anfallen (" Cruise-Emissionen"). Holzinger: "Dass der CO2-Ausstoß eines Flugzeugs, das in Wien startet und in New York landet, dem Flughafen Wien zugerechnet wird, ist nicht machbar." Ob das Luftfahrtgesetz adaptiert werden müsste, will Holzinger nicht beurteilen: "Ich würde jetzt einmal die neue Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts abwarten." In zehn bis vierzehn Tagen wird der Richtersenat es zugestellt bekommen.

"Neue Chance"

Flughafenvorstand Julian Jäger ist naturgemäß erfreut: "Man ist uns in allen entscheidenden Punkten gefolgt." Die dritte Piste rückt damit zumindest theoretisch näher, denn mit einer so raschen VfGH-Entscheidung hat man nicht gerechnet. Dennoch rechnet Jäger mit einer Fertigstellung, so es zum Bau kommt, frühestens 2027/28. "Wir gehen davon aus, dass eine neuerliche Erkenntnis, die wohl ein bis zwei Jahre dauern kann, von der Gegenseite angefochten wird."

Einen Rückschlag für den Klimaschutz beklagen Umweltschützer wie Ökobüro, WWF oder System Change. Sie, aber auch die grüne Umweltsprecherin Christiane Brunner fordern nun rasch verbindliche Klimaschutzgesetze. (rebu, 29.6.2017)