Der 1.912 Meter hohe Mont Ventoux in der Provence zählt zu den härtesten Herausforderungen der Tour de France.

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Amateure können jederzeit als Zaungäste mitfahren.

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Zuschauer brauchen für die Rennen nicht einmal ein Ticket, jeder ist gratis dabei, selbst das Campen an der Strecke kostet lediglich Anstrengung, um sich frühzeitig einen guten Platz zu sichern.

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Pilgerstätte für Tom Simpson: 1967 brach der Brite an dieser Stelle zusammen und starb an einer Mischung aus Erschöpfung, Amphetaminen und Alkohol. Viele halten am Denkmal und "opfern" ihre Trinkflasche.

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Der Lavendelduft, den der Wind sonst so sanft durch die Provence trägt, ist verflogen. Beißender Gummigeruch hat all die feinen Blumen- und Kräuternuancen zerschmettert. Er stammt von Wohnmobilen, Autos und Motorrädern, die auf der anderen Straßenseite mit heißen Bremsen dem Tal entgegenrattern. So riechen also 20 Kilometer Abfahrt. Aber wie schmecken wohl 20 Kilometer Auffahrt mit dem Fahrrad? Wir sind dabei das herauszufinden.

Unser Trip führt mit dem Rennrad von Bédoin auf den Gipfel des legendären Mont Ventoux. Die durchschnittliche Steigung über die 21,2 Kilometer beträgt 7,6 Prozent. Das Thermometer zeigt mehr als 30 Grad, und bald verlassen uns die Pinien, die jetzt noch streifenweise Schatten spenden.

Campen am Straßenrand

Es gibt einen Grund, warum wir gerade jetzt diesen Berg angehen: Die Tour de France, die am 1. Juli in Düsseldorf startet, rollt wieder durch Frankreich. Sie ist das drittgrößte Sportereignis der Welt und bietet das maximale Fan-Erlebnis. Während die Zuschauer bei einer Fußball-WM oder Olympischen Spielen ihre Stars mit dem Fernglas einfangen müssen, ist bei der Tour alles anders: Kurz vor dem Start noch ein Selfie mit Alberto Contador, am Berg Chris Froome anfeuern, im Ziel noch flugs ein Autogramm von Simon Geschke ergattern. Berühren statt bewundern.

Dieses Prinzip soll bleiben, auch wenn die Tour wegen möglicher Terrorgefahr seit 2016 von einer Eliteeinheit der französischen Polizei beschützt wird. Zuschauer brauchen für die Rennen nicht einmal ein Ticket, jeder ist gratis dabei, selbst das Campen an der Strecke kostet lediglich Anstrengung, um sich frühzeitig einen guten Platz zu sichern. Das Spektakel wird endgültig zur Tour de Fans, weil man sich mit den Profis messen kann. Man betritt dasselbe Sportfeld und leidet wie sein Vorbild, indem man sich die tiefsten Schlaglöcher und die steilsten Anstiege teilt.

Glutheiß und bitterkalt

Ein echter Radfahrer wird nie zufrieden sein, bevor er nicht mindestens einen der Tour de France-Giganten bezwungen hat. Der Mont Ventoux gehört zweifelsfrei dazu. Im Tal ist es glutheiß, am Gipfel bitterkalt. Immerhin bleibt einem im Sommer der gnadenlose Wind meist erspart, dem der Berg seinen Namen verdankt. Die 1.911 Meter hohe Erhebung, die in der Provence alles um Weiten überragt, war bereits 16. Mal Teil des gigantischen Radspektakels.

Doping-Sünder wie Iban Mayo oder der verstorbene Marco Pantani haben schier unmenschliche Zeiten am Mont Ventoux hingelegt. Und der Berg hat auch ein Opfer gefordert: Am letzten steilen Anstieg des Gipfelplateaus, wo links und rechts nur weiß-gelbes Geröll liegt, das eine karge Mondlandschaft entstehen lässt, haben die Fans eine Pilgerstätte für Tom Simpson geschaffen. 1967 brach der Brite an dieser Stelle zusammen und starb an einer Mischung aus Erschöpfung, Amphetaminen und Alkohol. Viele halten am Denkmal und "opfern" ihre Trinkflasche.

Organisierte Mitfahrgelegenheit

Wir stoppen nur kurz und lassen die Plastikflaschen auffüllen, denn unser erlaubtes Hilfsmittel am Berg ist ein Begleitfahrzeug, in dem fürsorgliche Helfer sitzen. Sie haben Bananen, Energie-Riegel, einen Kanister Wasser und einen großen Werkzeugkoffer an Bord. Mindestens so wichtig ist die moralische Unterstützung, und sei es nur ein kurzes Lächeln oder ein gereckter Daumen, mit dem man uns Mut macht. Wenig später am Gipfel nehmen uns die Begleiter mit warmen Decken in Empfang, besorgen heißen Tee und bauen ein Buffet auf, während wir Schlange stehen, um uns vor dem Schild "Sommet Mont Ventoux 1.911 m" gegenseitig zu fotografieren.

Wer die Tour mit all ihren Facetten erleben will, tut gut daran, sich einem organisierten Trip anzuschließen. In den südfranzösischen Alpen, wo wir uns parallel zu den Profis eine Woche mit dem Rad bewegen, liegen die berühmten Anstiege weit auseinander. Ohne professionelle Transfers hat man als Amateur keine Chance.

Start vor der Haustür

Unsere Begleiter arbeiten für Vinje Cycling, einer der wenigen deutschsprachigen Veranstalter, die Tour-de-France-Packages schnüren. Als Basis dient ein einfaches Hotel in Ancelle nahe der Stadt Gap. Je nach Wünschen der Teilnehmer wird eine Tagestour festgelegt. Dann packt man die Räder in den Bus oder startet vor der Haustür.

Die Region bietet genügend Abwechslung für ein oder zwei Wochen. Auf der einen Seite finden sich sanftere Hügel zum Warmfahren, die andere Richtung offenbart alpine Hochgebirgslandschaft mit kräftezehrenden Anstiegen. Die Region Hautes-Alpes ist Radsport-Hotspot in Frankreich.

Mitspurten

Während wir eine kleine Runde drehen, hat einer unserer Begleiter einen Platz zwischen all den Wohnwagen besetzt, die wie eine weiße Linie den Streckenverlauf nachzeichnen. Als wir eintreffen, können wir uns vor der Sonne unter ein kleines Zeltdach retten und das Buffet genießen. Andere haben es nicht so gut, sie harren schon seit dem Morgen in der Hitze aus. Wenn die Rotoren der Hubschrauber die Profis ankündigen, drängen die Zuschauer in die Straßenmitte. Die führenden Fahrer rauschen heran, und nach wenigen Augenblicken sind sie schon wieder hinter einer Kurve verschwunden.

Wer an einem Anstieg wartet, erlebt mehr von der Tour – und hat sogar die Chance, ein Stück mit den Fahrern mitzuspurten. (Christian Schreiber, 1.7.2017)