Eine der großformatigen (circa postergroßen) Pergamenttafeln mit der handschriftlichen Version der Babenberger-Genealogie.

Foto: Stiftsbibliothek Klosterneuburg

Handschrift aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Foto: Stiftsbibliothek Klosterneuburg

Ein Wiegendruck aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Man erkennt, wie stark das Design an die Handschriftlichkeit angelehnt ist.

Foto: Stiftsbibliothek Klosterneuburg

Wien – Mobile, Social Media, Virtual Reality: Technologie und Journalismus liegen heute so nahe beieinander wie noch nie. Möchte man meinen, doch neue Technologien stellen die Menschheit seit jeher vor Herausforderungen. Vor allem, wenn es sich dabei um sogenannte "disruptive Innovationen" handelt, also Technologien, die das Potenzial haben, Bestehendes möglicherweise zu verdrängen.

Denkt man ein paar Jahrhunderte zurück, kommt einem als Paradebeispiel Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts in den Sinn. Dass auch hier die Menschheit erst einige Jahrzehnte lang lernen musste, mit der neuen Technologie umzugehen und sie entsprechend ihren Eigenarten, ihren Vor- und Nachteilen einzusetzen, wird dabei selten bedacht.

Bereits im 13. und im 14. Jahrhundert lernten immer mehr Menschen zu lesen und zu schreiben. Papier tauchte auf dem Markt auf. Papier war billiger als Pergament, wodurch mehr geschrieben werden konnte. Potenzielle Kunden und mehr Speicherplatz zu günstigeren Konditionen: Gutenbergs Erfindung kam keineswegs aus dem Nichts.

Familiengeschichte

Im niederösterreichischen Stift Klosterneuburg findet sich noch heute ein Werkkomplex aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert, der den Umgang der Zeitgenossen mit den damaligen medialen Möglichkeiten zeigt. 1485 wurde der Babenberger Markgraf Leopold III. heiliggesprochen. Er hatte das Stift Klosterneuburg im frühen 12. Jahrhundert gegründet und liegt noch heute dort begraben. Um den Stifter gebührend in Szene zu setzen – und vermutlich auch, um die eigene Bedeutung zu unterstreichen –, beauftragte das Stift einen Gelehrten damit, die Familiengeschichte aufzuarbeiten. Die Ergebnisse dieser Forschungen verbreitete das Stift anschließend auf allen ihm zur Verfügung stehenden Kanälen.

Nicht jeder konnte lesen. Daher musste das Stift einen Weg finden, die Geschichte ohne Text zu erzählen. Es beauftragte Maler, die ein monumentales, rund 30 Quadratmeter großes dreiflügeliges Gemälde anfertigten. Auf den beiden Seitenteilen sind die Frauen der Babenberger abgebildet, der Mittelteil zeigt die Männer in runden Medaillons. In diesen Medaillons wurden Ereignisse aus dem Leben der abgebildeten Personen dargestellt. Das Publikum kannte diese Geschichten zum Teil und war so in der Lage, das Gemälde zu verstehen.

Acht großformatige und reich verzierte Pergamenttafeln wurden in Auftrag gegeben, auf denen die Geschichte handschriftlich festgehalten wurde. Vielleicht hingen diese Tafeln in der Nähe des Grabes des Heiligen. Vielleicht wurden sie den Besuchern vorgelesen, die nach Klosterneuburg kamen, um das Grab zu sehen. Wir kennen die genaue Verwendung dieser Tafeln nicht. Wir können aber sagen, dass diese Tafeln ein Publikum brauchen, das vor Ort in Klosterneuburg ist.

Der Siegeszug des Buchdrucks

Um die Geschichte auch außerhalb Klosterneuburgs zu verbreiten, setzte das Stift auf eine neue Technologie: den Buchdruck. Bücher, die im 15. Jahrhundert gedruckt wurden, heißen auch Inkunabeln oder Wiegendrucke. Als Gutenberg die beweglichen Lettern erfand, nahm er sich Handschrift als Designvorlage. Dementsprechend sieht auch die gedruckte Familiengeschichte der Babenberger aus wie die Kopie eines handgeschriebenen Werks.

Wie Marshall McLuhan sagte: "Der Inhalt eines Mediums ist wiederum ein Medium." Ein anderes Beispiel dafür sind Medienunternehmen, die ihre Websites mit dem Design von Zeitungen im Hinterkopf entwarfen. Und noch immer verwenden wir PDF-Dateien, die dem Charakter des Internets so rein gar nicht entsprechen.

Drei unterschiedliche mediale Lösungen erzählen hier dieselbe Geschichte. Gemälde, Pergamenttafeln und Inkunabel wurden zur selben Zeit veröffentlicht – überspitzt gesagt, haben wir hier ein Beispiel für eine mittelalterliche Cross-Media-Marketingkampagne. "Alte" Medien und Technologien – wie Pergament und Handschrift – sowie "neue" Medien und Technologien – wie Papier und Buchdruck – wurden Seite an Seite eingesetzt. So wie Verleger heute mussten sich Kommunikatoren auch damals den Herausforderungen neuer Medien stellen und lernen, damit umzugehen. (Sabine Miesgang, 29.6.2017)