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Albert Einstein auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1905. In diesem Jahr veröffentlichte der noch weitgehend unbekannte Physiker einige seiner wichtigsten Arbeiten, die Anerkennung dafür folgte erst später.

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Wien – Die erste Ankündigung des wissenschaftlichen Erdbebens erfolgte am 18. Mai 1905: Albert Einstein schrieb an seinen Freund Conrad Habicht, der im Jahr zuvor Bern verlassen hatte, dass er die baldige Veröffentlichung von vier Arbeiten beabsichtige. Seit knapp drei Jahren begutachtete der 26-jährige Familienvater werktags Erfindungen im Schweizer Patentamt in Bern, doch seine Gedanken waren ganz woanders. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht: Er hatte nicht weniger im Sinn als eine Revolution.

Die erste Arbeit, so schrieb er Habicht, handle "über die Strahlung und die energetischen Eigenschaften des Lichtes und ist sehr revolutionär, wie Sie sehen werden. Die zweite Arbeit ist eine Bestimmung der wahren Atomgröße aus der Diffusion und inneren Reibung. Die dritte beweist, dass unter Voraussetzung der molekularen Theorie der Wärme in Flüssigkeiten suspendierte Körper eine wahrnehmbare, ungeordnete Bewegung ausführen müssen. Die vierte Arbeit liegt erst im Konzept vor und ist eine Elektrodynamik bewegter Körper unter Benützung einer Modifikation der Lehre von Raum und Zeit."

Physikalisches Wunderjahr

Tatsächlich wurde das Jahr 1905 zum Annus mirabilis, dem Wunderjahr des Physikers und damit seiner Disziplin. So legte Einstein mit seiner Veröffentlichung zum photoelektrischen Effekt, in der er Licht als Partikelstrom beschrieb, eine Pionierarbeit der Quantentheorie vor. Mit seinen weiteren Schriften wurde er zu einem Mitbegründer der statistischen Mechanik, lieferte eine stabile theoretische Fundierung der damals noch umstrittenen Atomhypothese und warf schließlich mit seinem "Prinzip der Relativität" die bis dahin in der Physik herrschende Vorstellung von Raum und Zeit über den Haufen. Jede einzelne dieser Arbeiten hätte einen Nobelpreis verdient, wie der deutsche Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker später schrieb.

Auf die Auszeichnung musste Einstein freilich noch länger warten, auch wenn er jahrelang regelmäßig dafür nominiert wurde. Als er sie 1921 schließlich in den Händen hielt, war es zwar eine seiner Arbeiten aus dem "Wunderjahr", die damit prämiert wurde (die zum photoelektrischen Effekt), nicht aber die wichtigste und auch nicht ihre noch bedeutendere Weiterentwicklung.

Noch immer war die Theorie, mit der Einstein die Welt am nachhaltigsten veränderte, nicht hinlänglich anerkannt. Doch zurück ins Jahr 1905. Die vierte Veröffentlichung, die Einstein gegenüber Habicht erwähnte und die, wie wir aus dem Brief erfahren, Mitte Mai "erst im Konzept" vorlag, nahm erstaunlich schnell Form an. Innerhalb weniger Wochen verfasste er die Grundlage der speziellen Relativitätstheorie und reichte sie am 30. Juni 1905 unter dem fast schon unscheinbaren Titel "Zur Elektrodynamik bewegter Körper" in den "Annalen der Physik" ein, eine der ältesten Fachzeitschriften der Welt.

Folgenreicher Aufsatz

Auf 30 Seiten widersprach Einstein der Existenz eines Äthers, die bis dahin zur Erklärung der Ausbreitung von Licht herangezogen worden war, postulierte die Lichtgeschwindigkeit als absolute Geschwindigkeitsgrenze und verlieh damit Raum und Zeit völlig neue Eigenschaften: Egal ob oder wie schnell man sich einem Lichtstrahl annähert, dieser bewegt sich stets mit derselben Geschwindigkeit auf einen zu – diese ist mit anderen Worten in allen Bezugssystemen konstant.

Raum und Zeit lassen sich demnach nicht getrennt voneinander messen, damit ist auch Gleichzeitigkeit eine relative Eigenschaft. Es gibt also weder einen absoluten Raum noch eine absolute Zeit, sondern nur relative Bewegungen. Die verblüffenden Konsequenzen dieser Erkenntnis sind schwerwiegend: Demnach sind schnell bewegte Körper in Bewegungsrichtung von außen betrachtet kürzer als ruhende – das Phänomen der Längenkontraktion kommt zum Tragen.

Gedehnte Zeit

Eine andere Folge ist die Zeitdilatation, die sich vereinfacht so auf den Punkt bringen lässt: Ein Zeitintervall wird für bewegte Beobachter gedehnt – bewegte Uhren gehen also langsamer. Das berühmte Zwillings-Gedankenexperiment verdeutlicht den Effekt: Ein Raumfahrer, der mit einer schnellen Rakete reist, altert langsamer als sein auf der Erde verbliebener Zwillingsbruder. Bei den Geschwindigkeiten, die wir im Alltag zurücklegen, lässt sich die Zeitdilatation nicht wahrnehmen, sie lässt sich aber etwa in Experimenten mit Atomuhren an Teilchenbeschleunigern nachweisen.

Eine weitere Konsequenz der speziellen Relativitätstheorie ergänzte Einstein noch im September 1905 mit der Einreichung der Arbeit "Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?" – die Äquivalenz von Masse und Energie, die sich in der vielleicht berühmtesten aller Formeln äußert: E=mc2.

Langsame Revolution

Doch so revolutionär Einsteins Arbeiten von 1905 auch waren, der Knalleffekt blieb aus. Zu seiner großen Enttäuschung folgte auf seine Veröffentlichungen zunächst eisiges Schweigen in der wissenschaftlichen Community: keine leidenschaftlichen Angriffe auf seine Arbeit, keine Referenzen und schon gar keine Angebote, das Patentamt zugunsten einer Universität zu verlassen.

Erst nach und nach trudelten Briefe anderer Physiker ein. Als Einstein 1907 den langen Weg von der speziellen zur allgemeinen Relativitätstheorie einschlug, war er noch immer weitgehend unbekannt, die Universität Bern lehnte seinen Antrag auf Habilitation in diesem Jahr ab.

An seinem Ziel langte Einstein schließlich im November 1915 an, als er die "Feldgleichungen der Gravitation" veröffentlichte und damit die allgemeine Relativitätstheorie zum Abschluss brachte. Immerhin: Die Revolution, die so langsam angelaufen war, dauert bis heute an. (David Rennert, 30.6.2017)