Die Koalition ist ja längst zerbrochen, Sebastian Kurz, der neue Heilsbringer der ÖVP, hat ihr Ende bereits im Mai verkündet. Seitdem können die beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP ihre lange und intensiv gepflegte Feindschaft auch offen vor sich hertragen, das tun sie in unterschiedlicher Intensität und Ausdruckskraft. Während die SPÖ mit Kanzler Christian Kern nicht anders kann und will, als ihren Gram und Ärger immer neu herauszustreichen, hat Kurz die ÖVP offenbar angehalten, auf Zurückhaltung zu setzen und der direkten Konfrontation aus dem Weg zu gehen. So ließ sich die ÖVP nicht provozieren, als Kern den Bruch der Koalition auch formal vollzog, die bisher gültige Vereinbarung, einander nicht zu überstimmen, für nichtig erklärte und auf Initiative der Grünen gemeinsam mit FPÖ und Neos eine deutliche Anhebung des Uni-Budgets beschloss – gegen den Willen der ÖVP. Damit wurde im Parlament erst einmal das freie Spiel der Kräfte ausgerufen – und das kann noch spannend werden.

Überraschend ist, wie konstruktiv die Parteien im Parlament die letzten Tage der Beschlussfassung angegangen sind, wie viel da noch angestoßen und umgesetzt wurde. Auch die beiden Noch-Koalitionsparteien, die ihre gegenseitige Abscheu kaum verbergen wollen, fanden bei wesentlichen Themen zusammen: Der Pflegeregress wurde abgeschafft, auch wenn die Finanzierung nicht ausreichend geklärt werden konnte; die Gewerbeordnung wird immerhin einem Facelifting unterzogen, der Beschäftigungsbonus und eine Initiative für ältere Arbeitslose wurden beschlossen, die Sportförderung wird auf neue Beine gestellt und vieles mehr.

Es ist mehr als ein Röcheln der Koalition in deren letzten Zuckungen, hier wurde noch einmal tief durchgeatmet. Selbst die drögen Sozialpartner fanden zusammen und einigten sich nach langem Ringen auf einen Mindestlohn von 1500 Euro brutto bis zum Jahr 2020. Hier hat die Wirtschaft nahezu selbstlos eingelenkt, auch wenn es im Gegenzug vorläufig zu keiner Flexibilisierung der Arbeitszeit kommen wird.

Nach der Sondersitzung des Nationalrats am 13. Juli, bei der formal dessen Auflösung beschlossen wird, sind noch drei weitere Plenarsitzungen angesetzt, zwei davon unmittelbar vor der Wahl im Oktober. Wenn nicht sinnlos Geld verpulvert wird, um letzte Wahlzuckerln auszustreuen, könnten auch ein paar sinnvolle Beschlüsse gefasst werden, miteinander oder gegeneinander. Die Abschaffung der kalten Progression blieb etwa unerledigt, das könnten SPÖ oder ÖVP noch einmal angehen, das wäre auch für die FPÖ ein Thema. Einen neuen Anlauf könnte es mit Rückendeckung der Wirtschaft für die Flexibilisierung der Arbeitszeiten geben. Und wenn ÖVP und FPÖ eine Mehrheit für ein Sicherheitspaket fänden, wäre auch das zu akzeptieren.

Die Gefahr liegt jetzt im Wahlkampf an sich, das ist bekanntlich die Zeit des fokussierten Unsinns. Was da noch an Geschichten aufstehen kann, ist nicht absehbar und wird wohl auch von äußeren Einflüssen abhängen. Eine neue Flüchtlingswelle, die Österreich berührt, könnte die Themenlage dramatisch drehen. Es werden jedenfalls kurze, einfache Botschaften sein, die den Bürgern in den Wochen vor der Wahl um die Ohren geschlagen werden. Auf deren Einfließen in die konkrete Parlamentsarbeit sollte tunlichst verzichtet werden. So viel Vernunft wären die Politiker ihren Wählern schuldig. (Michael Völker, 30.6.2017)