Auf den Beckenboden schauen: Rückbildungsgymnastik wirkt.

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Katharina Muth macht Mütter nach der Geburt wieder fit – ohne Druck.

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STANDARD: Rückbildung boomt. Aber ist das ein Novum – oder haben das Frauen schon immer nach einer Geburt gemacht?

Muth: Unsere Großmütter haben nichts Derartiges gemacht – und hatten nach den Geburten allerhand Probleme. Mit 50 Jahren litten viele an Blasenschwäche und trugen Einlagen. Rückbildung ist in der westlichen Kultur erst seit der Hippiezeit ein Thema. In anderen Kulturen ist das wahrscheinlich anders, aber im Westen tauchte das Thema erst mit der sexuellen Revolution auf.

STANDARD: Kann man mit Rückbildungsgymnastik Inkontinenz und Organsenkung vorbeugen?

Muth: Genau. Ein starker Beckenboden wirkt sich auf die Haltung aus, da er die Verbindung zwischen Bauch, Rücken und den Beinen ist. Auch Bandscheibenprobleme haben oft die Ursache dort. Der Beckenboden ist aber nicht nur für Mütter ein Thema, sondern für alle – auch für Männer.

STANDARD: Das wissen nicht viele. Warum?

Muth: Der Beckenboden ist leider immer noch ein Tabuthema. Viele wissen nicht, was und wo er ist. Viele Männer wissen nicht einmal, dass auch sie einen Beckenboden haben – und dass ein trainierter Beckenboden die Lust fördert. Der Beckenboden besteht aus drei Schichten, die man bestenfalls sogar getrennt voneinander aktivieren kann. Wenn ich die Sitzbeinhöcker zusammenziehe und in der Vorstellung damit einen Schwamm ausdrücke oder Kirschkerne aufhebe oder einen Aufzug hinauffahren lasse.

STANDARD: Welche Bereiche umfasst die Rückbildung?

Muth: Die Kräftigung des Beckenbodens und das Stabilisationstraining der Rumpfmuskulatur stehen im Zentrum. Der Beckenboden wurde durch Schwangerschaft und Geburt geschwächt. Auch die Muskeln und Bänder sind in dieser Zeit arg in Mitleidenschaft gekommen.

STANDARD: Ab wann ist es ratsam, damit zu beginnen?

Muth: So früh als möglich. Frauen können ab der sechsten Woche nach einer Geburt damit beginnen. Den Trainingsbeginn muss jede Frau für sich selbst entscheiden. Mit der reinen Beckenbodenarbeit kann man gleich nach der Geburt beginnen. Das sind sanfte Übungen, die speziell auf die körperliche Konstitution nach der Geburt ausgerichtet sind. Da macht man keine Kniebeugen und keine Ausfallschritte – und hüpft natürlich nicht. Man schaut auf die Haltung beziehungsweise die durch die Gewichtszunahme eingenommene Fehlhaltung. Vor allem geht es um ein Bewusstsein, was der Beckenboden ist – und dass er wieder schön hält. Übungen zur Stärkung kann man gut in den Alltag integrieren.

STANDARD: Ob Kaiserschnitt oder Spontanentbindung – inwiefern unterscheidet sich die Rückbildungsarbeit?

Muth: Bei einem Kaiserschnitt soll man aufgrund der Narbe erst nach der achten Woche mit Rückbildungsgymnastik beginnen. Es gibt Frauen, die die Kaiserschnittnarbe noch nach einem Jahr spüren. Da muss man die Übungen anpassen. Jede Frau ist unterschiedlich. Auch bei Dammrissen muss das Training angeglichen werden.

STANDARD: Welche Sportarten sind in den ersten Monaten nach der Geburt besonders geeignet?

Muth: Schwimmen kann man immer oder Inlineskaten. Auch Nordic Walking, das umfasst viele Muskeln. Wandern mit Stöcken und viel gehen ist optimal. Yoga oder Pilates sind auch gut, denn auch hier wird auf den Beckenboden geschaut.

STANDARD: Und welche Sportarten soll man vermeiden, solange der Beckenboden nicht intakt ist?

Muth: Laufen ist nicht optimal, genauso wie Trampolin springen. Durch die Erschütterung und die Fehlhaltung sollte man mit diesem Sport noch ein halbes Jahr warten. Unmöglich in der ersten Zeit sind auch Sportarten wie Cross Fit.

STANDARD: Viele Frauen setzen sich unter Druck, möglichst schnell wieder fit zu sein. Hat sich das in den vergangenen Jahren verstärkt?

Muth: Der Druck und die Ansprüche haben sich stark verändert. Durch die enorme Medienpräsenz werden Bilder von erfolgreichen Frauen und Müttern geliefert, die schon nach wenigen Wochen wieder topfit und schlank sind. Ich merke das extrem bei der neuen Generation der Mütter. Frauen wollen schneller wieder fit werden – und tun sich damit nichts Gutes. Eine Schwangerschaft und eine Geburt ist ein tolles Ereignis, aber für den Körper eine ziemliche Herausforderung. Man sagt, dass die Rückbildung genauso lange dauert wie eine Schwangerschaft.

STANDARD: Was raten Sie Frauen?

Muth: Sich Zeit geben, ist wichtig – auch für die Psyche. Ich versuche den Müttern den Druck zu nehmen. Manche Frauen nehmen während der Stillzeit ab, andere erst danach. Es ist kein Einheitsbrei. Jede Frau reagiert anders auf die hormonelle Umstellung. Die Anforderung, ganz schnell wieder topfit zu sein und eine perfekte Figur zu haben, ist ein Riesenthema in der Leistungsgesellschaft.

STANDARD: Was kann passieren, wenn man zu früh nach der Geburt wieder mit Sport beginnt?

Muth: Es ist nicht klug für die Gelenke, alles ist noch weich und offen. Der Muskelaufbau muss erst langsam stattfinden. Außerdem kommen die meisten Mütter in der Anfangszeit zu wenig Schlaf. Das ist eine große Belastung für den Körper.

STANDARD: Der Wunsch, schnell wieder fit zu sein, kann also sowohl von Vorteil als auch nachteilig sein?

Muth: Rückbildung boomt auch, weil Sexualität weniger tabubehaftet ist. Frauen schauen wieder besser auf sich, sind achtsamer und versuchen sich nach der Geburt zu regenerieren. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite steht der Fitnesswahn. Das ist eine Gratwanderung. Ich appelliere an die Körperwahrnehmung und die gesundheitlichen Aspekte.

STANDARD: In Ihren Kursen ist im Nebenraum auch für die Betreuung der Babys gesorgt.

Muth: Frauen können das Kind abgeben, loslassen und sich für kurze Zeit wieder auf sich selbst konzentrieren. (Christine Tragler, 6.7.2017)