Sebastian Kurz, der am Samstag beim Parteitag der ÖVP in Linz mit 98,7 Prozent zum neuen Parteichef gewählt wurde, kündigte den Delegierten weitere Neuerungen in der Volkspartei an, die notwendig seien.

Nach der Änderung der Statuten, wonach Kurz allein die Bundesliste für die Nationalratswahl gestalten darf, zumindest ein Mitspracherecht bei den Landeslisten und gänzlich freie Hand bei der Erstellung eines allfälligen schwarz-türkisen Regierungsteams hat, wird die erste Neuerung laut STANDARD-Informationen bei der Kandidatensuche umgesetzt: Nach Angaben aus dem Umfeld von Kurz soll die Bundesliste mit Ausnahme des Spitzenkandidaten ausschließlich mit parteifreien Personen besetzt werden.

Auch finanziell hat sich Kurz von der Partei und ihren Teilorganisationen weitgehend unabhängig gemacht: Dem Vernehmen nach ist der Wahlkampf mit Spenden von außen finanziert, ohne dass der Parteiobmann auf Ressourcen der ohnedies verschuldeten Partei zurückgreifen müsste.

Erzählte sehr persönliche politische Erfahrungen vor einem vieltausendköpfigen Publikum auf dem symbolträchtigen Europaplatz: Der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz inszenierte seinen eigenen Stil.
Foto: Fischer

Der türkis umgefärbte Parteitag als Kurz-Show

Es war nicht der erste Parteitag im Linzer Design-Center, der den Umbau einer Partei in eine Bewegung bringen sollte. Schon vor mehr als 22 Jahren, am 14. Jänner 1995, gab es hier einen solchen Parteitag: Jörg Haider krempelte damals die FPÖ um, strich das P und das Ö aus dem Namen und verordnete den Namen "Die Freiheitlichen – F".

Man muss sich an diese Episode erinnern, auch wenn das in der ÖVP offenkundig niemand tut. Das ist nicht die Schuld des neuen Parteichefs. Sebastian Kurz war ja damals noch ein kleines Kind. Es sollte noch weitere acht Jahre dauern, bis er sich für Politik interessierte und bei der ÖVP anklopfte.

Damals, mit 16 Jahren, sei er auf später vertröstet worden, da habe er nur verschlossene Türen vorgefunden, wie er auf dem an den Parteitag anschließenden Fest vor mehr als 5000 mehr oder weniger parteinahen Gästen erzählte. Deshalb war auch eine nur angelehnte türkisfarbene Tür auf dem Europaplatz vor dem Design-Center aufgebaut: Wer anklopfte, fand Einlass in die neue Bewegung für Kurz, bekam ein Selfie mit Bewegungssprecher Peter L. Eppinger und wurde beklatscht.

Die Botschaft ist klar: Unter Kurz will die ÖVP offener sein, weniger formalistisch.

Als Bruch mit alten Gewohnheiten war ja auch der gesamte Parteitag angelegt worden: Am Vormittag gab es informelle Diskussionsrunden, am Nachmittag eine straff organisierte Show vor grau und türkisfarben angestrichenen Containern. Kein Parteitagspräsidium, ganz wenig Formalismen.

Dafür ein lockerer Außenminister, der mit Funkmikrofon durch den Saal wandelnd die Delegierten und Gäste begrüßte. Dazu die Generalsekretärin Elisabeth Köstinger, die – ihre Anspannung zu verbergen suchend – ein "Wegen Umbau geöffnet" vor der Parteitagskulisse verkündete.

Anknüpfung bei Alois Mock

Immerhin ging es um einen Umbau, der alle im Saal mitnehmen musste, die in Ehren ergrauten Funktionäre und Bundesländer-Delegierten ebenso wie die geschichtsvergessenen Kurz-Fans. Den Spagat sollte ein Video schließen, in dem die Witwe des Langzeitobmanns Alois Mock in berührenden Worten von dem langen Leiden des kürzlich Verstorbenen erzählte – und davon, dass nun eben die Zeit der Jungen sei.

Kurz dankte es ihr mit einer Ehrennadel der Volkspartei.

Nicht ganz so viel Dank gab es für Reinhold Mitterlehner, den Obmann, der nicht ganz freiwillig für Kurz Platz gemacht hat. Mitterlehner hielt eine sehr persönliche Rede, die ein wenig an jene erinnerte, mit der Erhard Busek sich auf dem Wiener Parteitag 1995 verabschiedet hatte. Mit dem ihm eigenen Humor hatte Busek seinem Nachfolger Wolfgang Schüssel damals geraten, "nicht zu gescheit" zu sein. Mitterlehner sprach von seiner eigenen Resozialisierung außerhalb der Politik und gab Kurz, ja eigentlich der gesamten Partei mit auf den Weg, dass man mehr Geduld haben müsse und nicht jedes Auf und Ab in Umfragen überbewerten soll.

Mit einem Lächeln und leicht feuchten Augen kritisierte er, dass in seinen zweieinhalb Jahren an der Parteispitze sein politisches Umfeld bei jeder schlechten Umfrage zu Tode betrübt war, "obwohl wir keine Wahl verloren haben. Jetzt sehe ich Euphorie, obwohl noch nichts gewonnen ist."

Keine Angriffe

Aber das Gewinnen, das werde noch kommen, das versichern Köstinger und Kurz. Der zu diesem Zeitpunkt noch um Zustimmung werbende Parteichef hielt eine ebenfalls sehr persönliche, mit Anekdoten gespickte Rede – in der er auch den Rat des damals gerade abgetretenen Amtsvorgängers Josef Pröll erwähnte: Der hatte ihm nämlich gesagt, er solle mit 24 Jahren das Angebot annehmen, Staatssekretär zu werden – allzu oft bekomme man so ein Angebot nicht.

Politische Ansagen gab es dagegen nur sparsam, Angriffe auf den politischen Mitbewerb gar nicht – außer dem Hinweis, dass nun eben dieser Mitbewerb und dessen publizistisches Umfeld ihn und seine reformierte Partei zur Zielscheibe erkoren hat. Also: Kurz und die Seinen gegen den Rest der Welt. Um was genau zu erreichen?

"Wer Österreich wirklich liebt, kann nicht zufrieden sein mit dem, wo wir heute stehen", war die zentrale Botschaft. Er rief eine "neue Kultur der Eigenverantwortlichkeit aus": Die ÖVP stehe für einen schlanken Staat mit geringer Staatsquote – eine Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung auf 40 Prozent ist das erklärte Ziel – und wenigen Regeln, die dann aber auch eingehalten werden müssten.

Dafür gab es viel Applaus, viel Zustimmung (mit 98,7 Prozent war diese fast so hoch wie seinerzeit für Mitterlehner) und die freundliche Unterwerfungsgeste, die von Kurz geforderten Statutenänderungen und den Leitantrag ohne Diskussion einstimmig anzunehmen.

Kontrast im Bierzelt

Geschlossenheit also. Aber eine ganz andere Art der Geschlossenheit als jene, die der Bauernbund einige Stunden zuvor bei der Wieselburger Messe demonstriert hatte: Im Bierzelt hatte Landwirtschaftskammerpräsident Hermann Schultes den Einfluss der Bauernschaft in der ÖVP beschworen und metaphernartig auch den Zusammenhalt: Man bekomme in der Politik eben nur etwas, wenn man geschlossen auch die Anliegen anderer mittrage.

Alte Parteistrukturen sind beständig. Auch Jörg Haider kehrte zwei Jahre nach Gründung der F-Bewegung zum Begriff FPÖ zurück. (cs, 3.7.2017)