Es ist kein Geheimnis, dass Donald Trumps Gedanken in der Regel chaotisch sind, bizarr und schmutzig. Weniger bekannt ist, dass Trump auch darüber Bescheid weiß, wie man zielgerichtet und positiv denkt. Er hat gelernt, dass man nur dann der Größte und Beste sein kann, wenn man sich darum bemüht, negative Gedanken durch positive zu ersetzen. Das wurde ihm schon früh vom New Yorker Pastor und Ratgeberautor Norman Vincent Peale (1898-1993) eingebläut, zu dessen Gottesdiensten in Manhattan ihn seine Eltern regelmäßig mitnahmen. "Er konnte besser predigen als alle anderen; er war ein unglaublicher Redner", erinnert sich Trump an Peales Auftritte. "Er konnte neunzig Minuten lang sprechen, und die Leute waren traurig, wenn es vorbei war." In dieser Hinsicht zumindest, so darf schon eingangs angemerkt werden, ist Trump eklatant hinter seinem Vorbild zurückgeblieben.

Praktische Psychotechnik

Peale wuchs als Methodist auf. Später konvertierte er zur Reformed Church in America, einer protestantischen Kirche niederländischen Ursprungs und calvinistischer Prägung.  Im Jahre 1932 trat Peale die Stelle eines Pastors an der Marble Collegiate Church in Manhattan an. Seine "praktisch anwendbare Theologie" fand große Resonanz, die Kirchengemeinde wuchs rasant an. 1952 erschien jenes Buch, das Peale  zu einem der bekanntesten Seelsorger der USA und einem Best- und Longsellerautor machte: "Die Kraft positiven Denkens". 

Im einführenden Kapitel des Werkes, das dem Genre der Ratgeberliteratur zuzurechnen ist, stellt Peale klar: "Dieses Buch vermittelt ihnen ein einfaches und doch wissenschaftliches System praktischer Techniken erfolgreichen Lebens, das funktioniert." Peales Beratungsansatz bestand im Wesentlichen darin, konkrete Lebensprobleme der Menschen, sehr häufig von Geschäftsleuten, durch die Aufforderung zu positivem Denken zu lösen. Dazu dienten formelhafte Vorsatzbildungen und ermutigende Sinnsprüche, für die Peale die Bibel heranzog.  

Norman Vincent Peale (1898-1993).
Foto: Library of Congress [cc;0;by]

In "Die Kraft positiven Denkens" schildert Peale, wie er bei einem von Selbstzweifeln und Ängsten geplagten Geschäftsmann folgende Kriseninterventionstechnik anwandte: Ab sofort, vor allem vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen, sollte sich der leidende Manager folgende Bibelstelle aus dem Philipperbrief aufsagen: "Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt". Peale war davon überzeugt, dass "diese Zauberformel (…) das mächtigste Mittel gegen Minderwertigkeitsgedanken" darstelle.

Wer also sein ramponiertes Selbstwertgefühl durch die autosuggestiv vermittelte Macht Gottes stärke, dürfe sich über steigende Umsätze in seinem Unternehmen freuen. Reverend Peale und seine Jüngerinnen und Jünger vertraten die Auffassung, dass das "praktische Christentum" des positiven Denkens zu steigendem Geldvermögen und individuellem Wohlstand führen würde, zu beneidenswertem Luxus und beruflichem Erfolg. Die frohe Botschaft der Geschwisterlichkeit und des Teilens wurde zu einem Evangelium individueller Prosperität umgedeutet.

Ungebundenes Selbst

Peales religiöse Unterweisung konzentrierte sich auf das "ungebundene Selbst" (Michael Sandel) des und der Einzelnen. Seine Soziologie war atomistisch, das Individuum war weitgehend auf sich allein gestellt.  Eine umfassende Studie legt dar, dass Peale in seinen Predigten zwischen 1946 und 1960 kein einziges Mal den Holocaust erwähnte und auch niemals über Rassismus und  Segregation sprach. Wie viele andere stand auch der Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm einer solchen therapeutisch-bürgerlichen Religion des individuellen Durchsetzungsvermögens kritisch gegenüber.

"Der Glaube an Gott", urteilte Fromm, ist "zu einem psychologischen Mittel geworden, um für den Konkurrenzkampf besser gerüstet zu sein." Aus theologischer Sicht steht Peales positives Denken unter Verdacht, Religion zu banalisieren und zu instrumentalisieren: Religiöse Texte erhalten die Funktion eines psychologischen Mittels, um den Glauben an sich selbst zu steigern und den Gegner auszuschalten.

Donald Trump sieht sich selbst als "großartigster Schüler" Peales.
Foto: reuters/carlos barria

Merkliche Unterschiede

In gewisser Weise standen Peale und Trump in einem ausgezeichneten Verhältnis zueinander: Peale fungierte bei Trumps erster Hochzeit als Geistlicher, ebenso bei der Hochzeit von Trumps Schwester Maryanne und beim Begräbnis von Trumps Eltern. "The Donald" ist bis heute davon überzeugt, dass er der Lieblingsjünger Reverend Peales war. "Er fand", verkündet Trump in gewohnter Art und Weise, "ich sei sein großartigster Schüler aller Zeiten." Was denn sonst? Wer denn sonst?

Trumps Einschätzung gehört allerdings in den Bereich der "alternativen Fakten" und wird von wichtigen Mitgliedern der Familie Peale keineswegs geteilt. John Peale beispielsweise, Sohn von Norman Vincent und pensionierter Philosophieprofessor, ist nicht sehr glücklich über solche und ähnliche Aussagen Trumps. "Ich zucke jedes Mal zusammen", bekannte er in einem Interview, "wenn Trump den Namen meines Vaters erwähnt. Ich habe keine hohe Meinung von Mr. Trump. Ich nehme ihn nicht sehr ernst. Ich bedaure, dass die Öffentlichkeit von dieser Verbindung erfuhr." John Peale missfällt vor allem, dass Trump nicht erkenne, wie wichtig es für seinen Vater gewesen sei, als Pastor anderen Menschen aufrichtig zu dienen.

Da ist was dran. Denn während Reverend Peale den Mühseligen und Beladenen mittels positivem Denken – wie theologisch und psychotherapeutisch defizitär dieses auch sein mag – ehrlich helfen wollte, sieht Trump in solchen Menschen einfach "Loser", Versager und Verlierer, über die man hämisch und verletzend herziehen kann. Und noch ein Unterschied: Neben positivem Denken empfahl Peale auch etwas, das an die Schweigepraxis der Quäker und der Zen-Buddhisten erinnert: jeden Tag zumindest eine Viertelstunde in vollkommener Stille zu verbringen: "Suche den ruhigsten Ort, den du finden kannst, setzte oder lege Dich fünfzehn Minuten lang hin und praktiziere die Kunst der Stille." Kann sich irgendjemand vorstellen, dass sich ein Donald Trump an diesen Ratschlag hält? (Kurt Remele, 4.7.2017)

Literaturhinweise

  • Broadhurst, Allen R.: He Speaks the Word of God: A Study of the Sermons of Norman Vincent Peale. Kingswood: The World’s Work 1964.
  • Ehrenreich, Barbara: Smile or Die: Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt. München: Kunstmann 2010.
  • George, Carol V. R.: God’s Salesman. Norman Vincent Peale and the Power of Positive Thinking. Oxford: Oxford University Press 1993.
  • Meyer, Donald: The Positive Thinkers. Religion as Pop Psychology from Mary Baker Eddy to Oral Roberts. New York: Pantheon 1980.
  • Peale, Norman Vincent: Die Kraft positiven Denkens. Zürich: Oesch 2011 (Deutsche Ersterscheinung 1960).
  • Scheich, Günter: Positives Denken macht krank. Vom Schwindel mit gefährlichen Erfolgsversprechen. Frankfurt: Eichborn 1997.

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