Lukas Spisser als Wildhüter Mellors und Katharina Strasser als Lady Chatterley.

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Reichenau/Rax – Als D. H. Lawrences "Lady Chatterley‘s Lover" 1928 erschien, galt das Werk zumindest als unsittlich. Schließlich geht es in dem Roman um ein Ehepaar besseren Standes, dem es vonseiten des Gatten nicht mehr gegönnt ist, sich aus eigener Lendenkraft zu vermehren. Eine aus dem Krieg mit heimgebrachte Lähmung ist schuld an dem Leiden, das die Generationenkette abreißen zu lassen droht.

Bei den Festspielen Reichenau reichte der Dramenfassung, die Regisseur John Lloyd Davies grob vorgegeben und die Dame des Hauses, Renate Loidolt, verfeinert hat, ein schlichtes "Lady Chatterley" als Titel. Gespielt wird die um vieles jüngere Frau des Versehrten von Katharina Straßer. Von dynastischem Pflichtgefühl getrieben, will Tobias Voigt sie einem anderen, potenteren Herrn zwecks Fortpflanzung zuführen: "Wir sind miteinander in der Ehe verwoben. Wenn wir daran festhalten, dann können wir für die Frage des Geschlechtlichen schon eine Lösung finden."

"Männliche Glut"

Er verschätzt sich. Denn dieses Mittel zum Zweck ist unerwarteterweise der Wildhüter Mellors (Lukas Spisser). Nicht nur das scheueste Getier, auch die inzwischen um ihre Jugend bangende Gattin erfüllt er mit Zutrauen. Vor allem aber und über alle Standesunterschiede hinweg mit Leidenschaft. Die "männliche Glut", die ihr bei ihrem Gatten und dessen über freie Liebe bloß parlierenden Freunden abgeht, findet sie bei dem kernigen Kerl, zu dem es im Programm so schön erklärend heißt: "Es wurde dafür auch ein Schauspieler gesucht, der von seiner natürlichen Anlage her einen ländlichen Dialekt beherrscht".

Wenn Spisser sich am Lavoir den Oberkörper wäscht, ist der Himmel hinter ihm in tiefes Rot getaucht. Dazu schwellen dramatisch sehnende Geigen. Das illustriert die Not der zur Jungfernschaft verdonnerten Ehefrau hochsentimental, aber – zugegeben – wirkungsvoll.

Waldromantik

Bloß als Konturen schieben sich die Räume von Wragby Hall oder die Bäume des Waldes auf Schienen auf die Bühne (Peter Loidolt). Das erlaubt einen flotten Wechsel der Schauplätze und relativ kurzen, von der Spielfassung geschickt portionierten Szenen. Dieweilen Lady Chatterley im Wald die Freuden des Leibes einfahren, gewinnt ihr Lord in seiner Krankenschwester zu Hause eine eigene, allerdings platonische Vertraute. Michou Friesz spielt mit am überzeugendsten. Voigt steht ihr, wiewohl im rollenden Stuhl sitzend, nicht nach. Dennoch geriet alles in allem eher zäh.

So Erschütterndes wie die erste Szene, in der der noch unversehrte Soldat Chatterley zu siegestrunkener Musik auf dem Schlachtfeld salutiert, woraufhin Maschinengewehrsalven akustisch einbrechen und ihn flugs niederstrecken, sah man im Folgenden nicht mehr. Als kommentierende Tratschmäuler traten die Freunde Sir Chatterleys (Andrė Pohl, Sascha Oskar Weis, Christoph Zadra) immer wieder kurz auf – ein eingespieltes Trio. Sonst übernahmen aber konventioneller Realismus und Waldromantik die Bebilderung (Kostüme: Erika Navas).

Hochmut ist überholt

Dass mit so Althergebrachtem eigentlich gebrochen gehörte, wird nach der Pause im Stück selbst zum Thema, als Connie, je mehr sie sich in Mellors verliebt, den Gatten, ihn in seinem aristokratischen Kern erschütternd, zu beschimpfen beginnt. Sich wegen seiner Kohleminen für etwas Besseres halten?!

Lady Chatterleys Schwester (Johanna Arrouaz) kennt die Hindernisse einer Befreiung aus der ehelichen Obsorge nur in der Theorie. Man versucht sie trotzdem. Das Ende bleibt offen. "Frauenschicksale der Weltliteratur" nennen die Festspiele die Reihe, in der das Stück im Großen Saal des Theaters Reichenau steht. Allein das klänge schon eher bieder. (Michael Wurmitzer, 4.7.2017)