In den Untiefen von Wien-Breitensee gibt es Sichuan-Küche zu entdecken, die den Umweg lohnt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dünn geschnittenes Fleisch, aber auch Innereien sowie köstliche Dim Sum finden sich auf der Speisekarte.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Küche der chinesischen Provinz Sichuan ist für den beherzten Einsatz ganzer Chilischoten ebenso berühmt wie für den gleichnamigen Pfeffer, der Zunge und Gaumen auf alarmierende Weise in einen Zustand belebender Taubheit zu versetzen versteht. Sie gilt überhaupt als eine der Variantenreichsten Ostasiens, wobei Sternanis, Knoblauch, Ingwer in oft durchdringender Weise zum Einsatz kommen. Im Westen stößt die Praktik, dünn geschnittenes Fleisch, aber auch verwegene Innereien von Magen und Darm bis zu gestocktem Blut in feuerrot würzigem Öl zu versenken, nicht immer auf Verständnis. Woher soll man auch wissen, dass derlei Schweinereien nicht auf den Teller gehievt, sondern ausschließlich mittels Stäbchen aus dem Fettbad gehoben und vor dem Einwerfen gehörig abgetropft werden wollen? Unter feiner Küche versteht unsereins das nicht wirklich – da denken wir eher an aufwendig hergeschmeichelte Edelteile, die auf aromatisch zurückhaltende Art behandelt werden.

Vielleicht sind die Tische eines Restaurants im 14. Bezirk deswegen mehrheitlich von Chinesen besetzt, weil es genau so heißt: feine Sichuan-Küche. Was Jiao Xiaoxiao und ihr Mann Jun Yuan als Küchenchef servieren, wendet sich an Kenner, die auch hinter brachialen Aromen subtile Würzung erkennen können. Wobei: Dass es hier auch grandiose, zur Abwechslung echt hausgemachte Dim Sum gibt (und dass die gar nicht scharf sind), scheint sich zumindest im Bezirk herumzusprechen. Darauf deuten zahlreiche Take-away-Bestellungen hin.

Die Auswahl der gedämpften Tascherln ist mit vier Varianten bescheiden, von denen aber kann man kaum genug bekommen. Peking-Täschchen etwa sind aus vergleichsweise robustem Weizenteig geformt, wunderbar bissfest und mit einer Fülle aus Schwein und Chinakohl versehen, die von vollendet rundem Wohlgeschmack ist – scharf (und auch das nur sanft) ist lediglich die Sauce, die dazu gereicht wird. Siu Mai aus Shrimps und Schweinefleisch sind einigermaßen unförmige Knödel, aber so voll von frischem Meeresfrüchte-Aroma, dass die fünf Stück der Portion kaum genug sind. Arg gut gelingen auch die in hauchdünnen Reisteig gehüllten Fleischtäschchen mit Shrimps und Bärlauch – Faschiertes der höheren Art, frisch mit Ingwer abgeschmeckt.

Magen-Darm-Spezialist

Dann aber gibt es kein Halten mehr: Salat aus Zunge und Herz, hauchdünn geschnitten, mit Koriander, Sternanis, knusprigen Erdnüssen abgeschmeckt, ist kühl, facettenreich, extrem zugänglich und eine wunderbar frische Vorspeise an heißen Tagen. Jener mit Rindfleisch und Kutteln steht dem um nichts nach, schillernd vielfältiger Gewürzeinsatz, saftiges Fleisch und feine Zucchinistreifen verbinden sich zu einem großartigen Gericht.

Schweinedarm gibt es in verschiedenen Variationen, knusprig frittiert und mit knackigen Sojasprossen, viel Sichuanpfeffer und noch mehr getrockneten Chilischoten schmeckt er besonders gut – auch wenn nach dem zweiten Bissen die Säfte stark ins Fließen kommen und man nach Luft japst ob der gnadenlosen Schärfe. Schweinsfüße, im Sternanis-Sud weichgekocht und danach knusprig gebacken, reihen sich mühelos in die Reihe unvergesslicher Kreationen ein, die große Köche von Christian Petz bis Marco Pierre White aus den Zehen der Sau zu machen wissen.

Wem das alles zu arg ist, darf versichert sein, dass hier auch aus weniger fordernden Zutaten wunderbare Gerichte entstehen – mit Junyuan ist ein Koch am Werk, der auch und gerade aus oft missachteten Teilen des Tiers wahrhaft Herrliches zu fabrizieren weiß. (Severin Corti, RONDO, 7.7.2017)