Die Weisheit der Hasen: Jan Fabre im Film "Doctor Fabre Will Cure You" (2013) von Pierre Coulibeuf.

Foto: Jan Fabre

Wien – Wer ist Jan Fabre? In Wien waren bereits viele seiner Stücke zu sehen, zuletzt das 24-Stunden-Ereignis Mount Olympus bei den Festwochen 2016, aber auch im Tanzquartier Wien und vor allem bei Impulstanz. Ab heute präsentiert sich der Universalkünstler erstmals in Wien mit der Personale Stigmata. Actions und Performances 1976-2016, die das Leopold-Museum im Vorfeld der diesjährigen Impulstanz-Ausgabe zeigt. Am 13. Juli wird der 58-Jährige das Festival mit der Soloperformance I am a mistake eröffnen, zu sehen ebenfalls im Leopold- Museum.

Wenn jemand öffentlich mit der Behauptung kokettieren kann, "ein Fehler" zu sein, kippt ein klassisches Bild. In der Folge schaut sich Narkissos' Bild im Weiher sein Originalgesicht, sozusagen "von unten", ganz genau an. Die Umkehr besagt: Jan Fabre ist kein Narziss, sondern ein in die Welt Geworfener, der im Gegenzug etwas zurück in diese Welt schleudert. Fabres Wurfhand gehört zu den eher kräftigen. Davon zeugt das gewaltige OEuvre, das der rastlose Antwerpener in den vergangenen vierzig Jahren produziert hat.

Im Vergleich damit kommt seine umfang- und detailreiche Stigmata-Schau, die er ursprünglich zusammen mit Germano Celant für das römische Maxxi-Museum konzipiert und nun aktualisiert hat, wie ein Understatement daher. Denn mit seinen Bildern, Schriften, Skulpturen, Filmen und der Dokumentation respektive den Relikten seiner Bühnenarbeiten könnte Fabre locker ein ganzes Haus bespielen. In die beiden Säle, die ihm in Wien zur Verfügung stehen, hat der Künstler Tische aus auf Holzböcke gelegte Glasplatten gestellt und mit Zeugnissen seiner Arbeitswut ausgestattet. An den Wänden sind Tagebucheinträge, Fotos, Videos und Zeichnungen arrangiert.

Kunst statt Gefängnis

Zusammen ergibt das fürs Publikum die Möglichkeit, sich durch einige der wichtigsten Stationen in Jan Fabres künstlerischer Biografie seit den 1970er-Jahren zu bewegen. Am 15. August 1978 etwa schrieb der 19-Jährige, er habe sich gerade mitten in Amsterdams Rotlichtviertel auf eine Brücke gestellt und drei Stunden lang gerufen: "Die Kunst kratzt am Herzen des Lebens!" Performance im öffentlichen Raum stand am Beginn von Fabres Laufbahn. Wenn er später von den Tänzern und Performern seiner Stücke verlangte, sich den Blicken des Publikums auszusetzen, dann nur, weil er diese Herausforderung selbst bereits angenommen hatte.

Die Kunst habe ihn, so Fabre, vor dem Gefängnis bewahrt. Zu den Werkzeugen, die der sich selbst so bezeichnende "Krieger der Schönheit" ausstellt, gehören nicht nur Hämmer, Meißel oder Abdrücke der Ober- und Unterseite seines Penis, sondern auch Schlagring, Nunchaku und Butterflymesser. In Doctor Fabre Will Cure You (2013), einem Filmporträt von Pierre Coulibeuf, das im Auditorium des Museums zu sehen ist – Clips daraus gibt's auch in den Sälen -, rasiert sich Fabre das Haupthaar mit einem Schild vor der Brust, auf dem steht: "Ich verrate nie die Schönheit."

Ein solches Bekenntnis ist nur dann keine Plattitüde, wenn jemand dort Schönheit entdeckt, wo sie sich der Allgemeinheit entzieht. Fabre findet solche Schönheiten am und im Körper, den er wie ein Anatom oder Pathologe im grellen, oft kalten Licht der Öffentlichkeit untersucht und testet: seine Säfte ebenso wie die Entäußerungen seines Verhaltens unter dem Druck der Einpassungen dieses Körpers in eine Kultur. In Fabres Fall sind das, Stichwort Stigmata, der in Flandern vorherrschende Katholizismus und die aufgeklärte Wissenschaft – Jan ist ein Enkel des berühmten Entomologen Jean-Henri Fabre und Sohn eines Biologen.

In der Ausstellung sind die Videoaufzeichnungen eines Gesprächs zwischen dem Künstler und dem renommierten Evolutionsbiologen Edward O. Wilson und einer Interaktion mit dem Neurophysiologen Giacomo Rizzolatti zu sehen. Außerdem begeistert sich Fabre für den Kultursoziologen Dietmar Kamper und den Philosophen Peter Sloterdijk. Bei Impulstanz feiert er kritisch und mit Witz auch den Staatskörper von Belgien, ab 18. Juli im Volkstheater mit der Uraufführung von Belgian Rules / Belgium Rules. (Helmut Ploebst, 7.7.2017)