Kasparow lebt im New Yorker Exil. Von dort aus könne er, was Putin angeht, "mehr Schaden anrichten". Mag sein, dass er sich auch sicherer als etwa in Moskau fühlt.

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St. Louis – Die Welt des Garri Kasparow ist schwarz und weiß. Immer noch. Das russische Schach-Genie jagt allerdings schon seit dem 11. März 2005 keine Könige mehr, nein, längst quält er als Oppositioneller mit schärfster Zunge einen anderen Herrscher, der politische Rochaden perfekt spielt: Wladimir Putin.

4539 Tage nach seinem Rücktritt wird der legendäre Garri Kasparow erstmals wieder im Wettkampf eine Partie eröffnen – sehr wahrscheinlich mit einem Doppelschritt des Damenbauern, wie er es so häufig getan hat. Der 54-Jährige tritt beim St. Louis Rapid and Blitz an, einem Blitz- und Schnellschachturnier, das am 14. August beginnt.

"Sieht aus, als würde ich den Altersschnitt heben, jedoch den Elo-Durchschnitt senken", twitterte der langjährige Weltmeister ironisch. "Ich bin bereit herauszufinden, ob ich die Figuren noch bewegen kann." Er wird sich wohl daran erinnern, dass er das Pferd zwei Felder vorwärts und eins zur Seite ziehen darf. Oder eben umgekehrt.

Im "Chess Club and Scholastic Center" kennt sich Garri Kasparow jedenfalls bestens aus. Im Westend von St. Louis sitzt gleich gegenüber an der Maryland Avenue in einem dunkelroten Backsteinbau die Hall of Fame des Schachs, der er seit 2005 wie selbstverständlich angehört.

Die Szene ist in Aufruhr. Dass gerade Kasparows Buch Deep Thinking über sein legendäres zweites Duell mit dem IBM-Computer Deep Blue 1997 erschien, ist sicher kein Zufall, eher ein kluger Marketing-Schachzug. Es war das erste Mal, dass eine Maschine einen Weltmeister unter Turnierbedingungen in die Schranken weisen konnte.

Das Spiel seines zweiten Lebens abseits des Bretts ist ein politisches. Kasparow, eigentlich Garik Weinstein, geboren 1963 in Baku, Aserbaidschan, ergraut und stets im Anzug, ist dort ebenso verbissen und angriffshungrig, wie er 1985 seinen größten Widersacher Anatoli Karpow im denkwürdigen Schach-Klassenkampf, dem ersten von vier Duellen, zermürbte.

Nadelstiche gegen Putin aus New Yorker Exil

Doch sein Gegner ist diesmal kaum mit List zu bezwingen. Kasparow hat Putin ein Krebsgeschwür genannt, ihn mit dem frühen Hitler verglichen, er hat ihn als Paten eines "diktatorisch" gelenkten, mafiös völlig zerfressenen Russland beschrieben, das sein Volk im Zombie-Zustand halte. 2007 saß er für ein paar Tage im Gefängnis, nachdem er eine Anti-Putin-Demonstration in Moskau angeführt hatte. Inzwischen lebt er im New Yorker Exil, weil er "von dort aus mehr Schaden anrichten kann".

Nun folgt für ein Turnier die Rückkehr ans Schachbrett. Dank einer Wildcard wird sich Kasparow, obwohl Norwegens Wunderknabe Magnus Carlsen fehlt, mit einem Feld von neun Topspielern messen, darunter Indiens Ex-Weltmeister Viswanathan Anand. An seinem Zugang hat sich nichts geändert. "Schach", sagt er, "ist geistige Folter." (sid, red, 6.7.2017)