Fotos: Lisi Specht
Fotos: Lisi Specht
Fotos: Lisi Specht

Rio Rutzinger, künstlerischer Leiter des Tanzfestivals Impulstanz, wohnt mit seiner Familie in der Wiener Josefstadt. Zu Besuch in einer Wohnung mit Vintagemöbeln, Tantra-Schreien und strengen Geschmacksgutachtern.

"Soviel ich weiß, wird diese Wohnung schon seit Jahrzehnten als WG genutzt. Es müssen hier wohl schon 150 bis 200 Menschen gewohnt haben. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass mir auf irgendwelchen Partys und Festln regelmäßig Wildfremde über den Weg laufen, die dann sagen: 'Ah, da wohnst du! Ja, da hab ich auch schon mal gewohnt.' Ich finde das echt lustig. Ich selbst bin im Jahre 2003 dazugestoßen. Zu besten Zeiten haben hier sieben oder acht Leute gewohnt. Seit knapp sechs Jahren wohne ich hier nun gemeinsam mit meiner Partnerin Sandy sowie mit meinem 15-jährigen Sohn und unserer gemeinsamen Tochter, die jetzt fast zwei Jahre alt ist.

"Ich liebe es, Dinge anzugreifen, die schon in hunderten oder tausenden Händen waren. Das lebt, das atmet, das sprudelt vor Geschichten." Rio Rutzinger in seinem Wohnzimmer.
Foto: Lisi Specht

Mit dem Wandel der Bewohnerstruktur haben wir auch der Wohnung einen neuen Touch verpasst, wobei wir sehr darauf geachtet haben, dieses Alte, dieses Anekdotenreiche, dieses zum Teil Abgefuckte beizubehalten. Die größte Änderung sind wohl die Wände: Nachdem in Sandys Kindheit und Jugend die Wände der elterlichen Wohnung immer weiß sein mussten, hat sie jetzt einen regelrechten Farbrausch. Die meisten Zimmer sind in unterschiedlichen Grautönen gestrichen. Hinzu kommen ein paar durchgeknallte, psychedelische Tapeten als Akzente. An dieser Stelle: Vielen Dank allen Freunden, die uns mit Pinsel und Rolle zur Seite gestanden sind!

Fotos: Lisi Specht

Die Wohnung hat 135 m² und liegt in der Josefstädter Straße in einem frühen Gründerzeithaus. Sie besteht aus verwinkelten Räumen mit Ecken und Nischen, mit knarrenden Holzböden, mit quietschenden Türen und mit sprechenden Wänden – charaktervoll, eigenwillig und stur. Unter und neben uns gibt es ein dreigeschoßiges Tanz- und Tai-Chi-Studio. Ständig begegnet man neuen Gesichtern im Stiegenhaus. Vom Balkon aus sehen wir in die Tanzräume, zu den langsam Schwertfechtenden oder den tantrisch Schreienden. Im Sommer, wenn die Fenster offen sind, breitet sich die Geräuschkulisse im Innenhof aus. Sehr inspirierend. Ein Impulstanz sozusagen!

Fotos: Lisi Specht

Unseren Einrichtungsstil würde ich als ziemlich eklektisch bezeichnen. Wir haben alles: Biedermeier, Vintage, Mid-Century, einen chinesischen Hochzeitsschrank, Designklassiker aus dem 20. Jahrhundert, Selbstgebautes, Flohmarktfunde und manches Stück aus Läden wie etwa Glasfabrik, Vintagerie oder Bananas. Wir scheißen uns nix und kombinieren, wie es uns gefällt, und doch ist die Summe irgendwie stimmig für uns.

Ich liebe es, Dinge anzugreifen, die schon in hunderten oder tausenden Händen waren. Das lebt, das atmet, das sprudelt nur so vor Geschichten. Und ich habe ständig Lust auf Neues und Ungewohntes. Die beiden Kinder sind zudem unsere strengsten Gutachter und Instanzen. Der 15-Jährige hat jetzt schon einen wirklich ausgeprägten Geschmack – auch wenn das so weit geht, dass er manchmal Bilder abhängt, wenn Freunde kommen. Und die Kleine schaut mich schon bös an, wenn ich die falschen Schuhe zu den falschen Hosen anziehe.

Fotos: Lisi Specht

Wir sind hier sehr happy und werden hier wohl noch lange wohnen bleiben. Aber ich muss gestehen, ich habe einen Spleen: Ich liebe es, fremde Wohnungen zu betreten. Immer wieder passiert es, dass ich Inserate durchstöbere, Grundrisse studiere und mir den einen oder anderen Besichtigungstermin ausmache. Eigentlich mache ich das nur zur Inspiration. Eigentlich! Aber insgeheim, ganz tief drin, schwingt wohl auch ein Fünkchen Hoffnung mit, eines Tages einen ausgefallenen Ort zu finden – ein Innenhofhäuschen etwa – und diesen zu einem persönlichen Zuhause für uns und unsere Freunde zu machen." (10.7.2017)