Das Gebäude ist bis heute und nahezu unverändert erhalten. Derzeit werden Mieter umgesiedelt und Untermieter delogiert.

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Ab Mitte der 1850er Jahre übernahmen Rosina Kliers Sohn Thomas Much und ihr Schwiegersohn Franz Michael Mayer – beide waren in der Leopoldstadt damals als Bezirksräte aktiv – die Leitung des "Grand Hotel National". Die Illustration zu diesem internationalen Werbeplakat schuf der Wiener Grafiker Vinzenz Katzler 1861.

Foto: Wien-Museum

Im Juli 1846 wurden in der Zeitschrift "Der Wanderer" erste Pläne zu dem von Philipp Klier am Karmeliterplatz geplanten "Hotel im größten Styl" bekannt.

Foto: Der Standard, Anno

Eine Detailansicht (von 1861) verweist auf das "Telegraphen-Amt" im Hotel. Die Kutschen fuhren durch den auf der Taborstraße liegenden Haupteingang in den Innenhof, wo die Gäste ausstiegen und das Gepäck entladen wurden. Die Ausfahrt lag in der Schmelzgasse.

Das "Grand Hotel National" war – gleichauf mit dem Stephansdom – auch im 20. Jahrhundert noch eine Attraktion. Die Flachdachkonstruktion, die einst ein prachtvoller Dachgarten zierte, wurde 1894 gegen Sattel- und Walmdächer getauscht.

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Im Stiegenhaus – wo die vermutlich von Theophil Hansen entworfenen Geländer noch erhalten sind – warten Ausblicke auf das Stadtpanorama, hier auf den Kirchturm der "Barmherzigen Brüder".

Foto: B. v. Radom

Die antiken Vorbilder zu den Karyatiden der Fassade publizierte Karl Friedrich Schinkel 1821 ("Vorbilder für Fabrikanten und Handwerker").

Foto: B. v. Radom

Das Jahr 1848 bescherte der europäischen Chronik eine Vielzahl von Einträgen: Die bürgerliche Revolution gegen die herrschenden Mächte der Restauration gehört gewiss zu den geläufigsten. Und in Wien wurde im zweiten Gemeindebezirk ein bemerkenswertes Hotel eröffnet, das europaweit seinen Vergleich suchte. Aufgrund seiner modernen Architektur und des Gästekomforts war es der Prototyp späterer Grandhotels.

Der Visionär war ein Gastwirt namens Philipp Klier, der die günstige Lage in der Leopoldstadt zu nutzen verstand. 1838 hatte der Nordbahnhof, der wichtigste Bahnhof der Habsburgermonarchie, seinen Betrieb aufgenommen. Auch die Anbindung an den Schiffsverkehr sicherte einen stetigen Zustrom an Gästen, ebenso die unweit gelegenen Vergnügungsetablissements, etwa das Carltheater oder das Odeon mit dem damals größten Tanzsaal Wiens.

Gasthaus "Zum Goldenen Ochsen"

Der Vorläufer war das an der gleichen Adresse, heute Taborstraße 18, seit 1684 nachgewiesene Gasthaus "Zum Goldenen Ochsen". Im Herbst 1842 war der damalige Eigentümer Carl Much, Vater von fünf unmündigen Kindern, verstorben. Seine Witwe Rosina verpachtete die Gaststätte an Philipp Klier, den sie später ehelichte. Im Juni 1846 wurden erste Pläne bekannt: Das "Prachthotel" sollte etwa "Stallungen für 50 Pferde" unter der Erde bekommen und ein begrüntes "Plateau" auf dem Dach den Gästen eine herrliche Rund- und Fernsicht bieten.

Der Dachgarten war auch eine der Attraktionen, die Klier anlässlich der Eröffnung in einer Annonce in der "Wiener Zeitung" anpries. Diese erschien auf den Tag genau vor 169 Jahren am 8. Juli 1848 und markierte die Geburtsstunde der gehobenen Hotellerie in Wien. Noch vor der Erfindung des US-Amerikaners Elisha Graves Otis 1853 war hier eine Aufzugsvorrichtung realisiert worden. "Für Personen, welchen das Steigen schwerfällt", beschrieb Klier, warte eine Maschine, die "sie in jedes Stockwerk hinaufhebt". Eine von vielen technischen Novitäten, die der beauftragte Architekt Ludwig Förster empfohlen hatte.

Förster, der auch an der Akademie der bildenden Baukunst unterrichtete, war an modernen Methoden und Materialien überaus interessiert. Als publizistisches Organ fungierte die von ihm begründete "Allgemeine Bauzeitung" (1836-1918), die einzige Fachschrift in der Monarchie.

Prototyp Hotelarchitektur

Ein dort 1848 veröffentlichter Artikel schildert Details zu dem mit "220 Passagierzimmern" und zahlreichen "Speise- und Gesellschaftssalons" ausgestatteten Bau, etwa auch zu einer Dampfmaschine: Sie sorgte für kontinuierliche Zufuhr von Frischluft und konnte sämtliche Räume beheizen oder kühlen. Weiters bewegte sie ein Pumpwerk zur Wasserversorgung in allen Stockwerken.

Architektonisch vollbrachte Ludwig Förster, der sich zur Umsetzung den jungen Theophil Hansen an die Seite holte, in mehrerlei Hinsicht eine Meisterleistung. Von außen mochte das Grand Hotel National schlicht wirken, der gestalterische Luxus empfing im Inneren.

Der Grundriss des an der Ecke Taborstraße (Nr. 18) Schmelzgasse (Nr. 2) gelegenen Gebäudekomplexes mit dem markanten und bis heute erhaltenen U-förmigen Innenhof
Foto: B. v. Radom

Den U-förmigen Lichthof säumten im Erdgeschoß Tee- und Kaffee-Salons, Boutiquen, ein Billard-Saal oder auch ein "Lese-Cabinet", in welchem internationale Journale auflagen. Die um die beiden großen Innenhöfe angelegten Korridore und Stiegenhäuser – mit Durch- und Ausblicken auf das Stadtpanorama – folgten einem ausgeklügelten System. Neun Lichthöfe und eine Glasdachkonstruktion sorgten für Tageslichteinfall. Bis zur Elektrifizierung sollten ja noch Jahrzehnte vergehen.

Es handle sich um ein architekturhistorisches Juwel, ist Benjamin von Radom überzeugt. Der auf dem Gebiet von Gründerzeitbauten, insbesondere von Hansen, versierte Architekturforscher hat sich ebenso wie Andreas Nierhaus, Architekturkurator des Wien-Museums, intensiv mit dem bis heute weitgehend unverändert erhaltenen Gebäude beschäftigt. Nierhaus bezeichnet es als einen fundamental wichtigen Bau, der als Muster für die großstädtische Ringstraßenbebauung fungierte, die erst eine Dekade später einsetzte. Dazu dokumentiert er die damalige Begeisterung für die Antike, etwa beim Fassadenschmuck. Die vier Karyatiden, wie die weiblichen Skulpturen mit tragender Funktion genannt werden, orientieren sich an den griechischen Ahnen, die Karl Friedrich Schinkel 1821 in "Vorbilder für Fabrikanten und Handwerke"r publizierte, erzählt von Radom.

Und er verweist auf den Einfluss auf nachfolgende Hotelbauten. Etwa auf die Innenarchitektur des 1870 eröffneten Grand Hotel an der Ringstraße. Dieses steht wie zahlreiche andere Ringstraßenbauten oder von Ludwig Förster und Theophil Hansen realisierte Palais und Mietshäuser unter Denkmalschutz. Nicht so das ehemalige Grand Hotel National, in das die Gemeinde Wien in der Zwischenkriegszeit zwangsweise Mieter einquartiert hatte. Bis 1938 lief parallel der Hotelbetrieb.

Nach dem "Anschluss" musste der jüdische Besitzer Isidor Guttmann die Liegenschaft an die Polizeidirektion Wien verkaufen. Die Restitution erfolgte in den Nachkriegsjahren, eine "neue" Hotellizenz blieb der Familie jedoch verwehrt. 2009 trat Guttmanns Enkel das Gebäude an die benachbarten Barmherzigen Brüder ab: im Tausch gegen sechs andere in Wien verstreute Häuser und eine sechsstellige Summe, zum Gegenwert von insgesamt 9,2 Millionen Euro.

Subventionierter Abriss?

Nun wollen die Nachbarn expandieren. Im Herbst 2016 wurden erste Abrisspläne publik. Die Bewohner erfuhren davon aus den Medien. Noch bremst der bestehende Ensembleschutz die Abtragung des Hauses. Architekturhistoriker und andere Initiativen fordern hingegen eine separate Unterschutzstellung und den Erhalt.

Das Spital müsse ausgebaut werden, betont Spitalsleiter Helmut Kern, und die Fläche des Eckhauses sei "an diesem Standort die letzte Möglichkeit" . Auf politischer Ebene genieße man Rückendeckung, schon weil man ein wichtiger Player im öffentlichen Gesundheitssystem sei, lässt er im STANDARD-Gespräch durchblicken. Man versuche alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. Nachsatz: Die eingeholten Gutachten messen dem Haus "weder städtebaulich noch architektonisch" eine Bedeutung bei.

Die Namen der Gutachter will Kern nicht nennen, ein Budget oder die erwartete Subventionshöhe nicht beziffern. Dass ein Abriss billiger käme, verhehlt er nicht. Derzeit sei "eine Hybridvariante angedacht", bei der die "historische Fertigteilfassade", wie er sie bezeichnet, erhalten bliebe.

Mit den im Haus verbliebenen Mietern sei man um Lösungen bemüht. Jene, die Untermietverträge haben, werden allerdings sukzessive delogiert. Denn die Wohnungen hätten ja nie untervermietet werden dürfen, rechtfertigt Kern, und man könne solche Illegalität nicht decken.

Denkmalschutz ante portas

Der Bezirksvorsteherin Uschi Lichtenegger (Grüne) ist der Erhalt des Ensembles wichtig. Die Krankenpflege will sie allerdings nicht gegen Denkmalschutz aufgerechnet wissen. Der Ball liegt seit Monaten beim Bundesdenkmalamt. Warum das Gebäude nie unter Schutz gestellt wurde, kann sich Friedrich Dahm nicht erklären. "Ein Verfahren wird in den nächsten Tagen eingeleitet", avisiert er auf Anfrage. Ob es nur die Fassade oder die gesamte historische Gebäudesubstanz umfasst, will er nicht erläutern. In der Branche gilt der Wiener Landeskonservator als investorenfreundlich und kompromissbereit. Auch Helmut Kern lobt das gute Gesprächsklima, denn wäre das Gebäude unter Denkmalschutz gestanden, hätte man es ja gar nie erworben. (Olga Kronsteiner, 8.7.2017)