Istanbul – Als er zu Mittag vor dem blauen Schild steht, das die Grenze der Provinz Istanbul markiert, lassen Kemal Kiliçdaroglu und seine Parteifreunde weiße Tauben fliegen. Mit einer Botschaft des Friedens soll diese politische Protestaktion zu Ende gehen, mit der Kiliçdaroglu, der Chef der größten türkischen Oppositionspartei, die autoritäre Herrschaft des Staatschefs Tayyip Erdogan herausgefordert hat. Es ist Tag 23 des Fußmarsches. Auf 50.000 Teilnehmer soll der Zug von Menschen am Freitag angeschwollen sein.

Die Anhänger schwärmen schon vom "Yürüyüşü-Geist", vom Vermächtnis des "Gerechtigkeitsmarschs", wie der türkische Oppositionsführer seinen Gewaltmarsch von Ankara nach Istanbul getauft hat. Vier Jahre nach den Massenprotesten um den Gezi-Park im Zentrum von Istanbul soll also nun auch dieser "Adalet Yürüyüşü" ins kollektive Gedächtnis der türkischen Gesellschaft eingehen, so hoffen wenigstens die Mitmarschierer.Politischer Fehler

Politischer Fehler

Alles ist Symbol in diesen Tagen in der Türkei, die Stimmung noch aufgepeitschter, jetzt, kurz vor dem ersten Jahrestag des Putsches vom 15. Juli. Weit im Norden, in Edirne, am anderen Ende der Republik, wo man den kurdischen Parteiführer Selahattin Demirtaş in ein Hochsicherheitsgefängnis gesteckt hat, sind es am Freitag ein Paar Handschellen. Weil er nicht mit gefesselten Händen zur ersten Anhörung vor Gericht gebracht werden will, geht Demirtaş wieder zurück in seine Zelle. Er sei immer noch ein vom Volk gewählter Abgeordneter, sagt Demirtaş den Polizeibeamten.

Kemal Kiliçdaroglu trägt gewissermaßen eine Mitschuld an Demirtaş’Verhaftung. Der Chef der sozialdemokratischen, kemalistischen CHP hatte im Frühjahr 2016 für eine kollektive Aufhebung der parlamentarischen Immunität gestimmt. Ein enormer politischer Fehler, wie politische Beobachter in der Türkei sagen. Als im Vormonat ein CHP-Abgeordneter zu einer hohen Haftstrafe verurteilt wurde, begann Kiliçdaroglu seinen Protestmarsch. Am Sonntagabend will er eine Kundgebung in Istanbul abhalten. (Markus Bernath, 7.7.2017)