Autor Eckhart Nickel hat schon ein Vorleben: Buchhändler, Journalist, Mitglied des Popliterarischen Quintetts "Tristesse Royale".

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Die Schweizerin Gianna Molinari.

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Der Schweizer Urs Mannhart schreibt neben Literatur auch Reportagen.

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Maxi Obexer, eine Südtirolerin in Berlin.

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Klagenfurt – Zwei Einbrüche füllten den letzten Lesevormittag. Bei Eckhart Nickel der eines Argwohns, bei Gianna Molinari der eines aus einem Flugzeugfahrwerk ins Zürcher Umland gefallenen Toten.

Fehlfarbene Himbeeren auf einem Markt und unglückliche Rinder auf einer Farm wecken in Nickels Text "Hysteria" das Misstrauen der Hauptfigur mit paranoiden Zügen. Nachforschungen führen in zu einer Nahrungsmittel-Kooperative namens Sommerfrische und die Jury zu einer überlangen Diskussion. Die Genauigkeit der Beobachtung als Ursprung des Unheimlichen wurde da etwa angemerkt zu dem Text, an dem Hubert Winkels alles bis hin zum Scifi-Topos gut fand, aber in zu viele Richtungen gehend. Für Sandra Kegel wurde "Mülltrennungsideologie" ausgestellt, was Meike Feßmann allerdings dekadent fand: Die Epoche dafür sei vorbei, es gebe heute dringendere Probleme.

Klaus Kastberger sah das anders. "Es stimmt etwas fundamental mit der Welt nicht", auch bio könne man nicht (mehr) trauen, meinte er. Michael Wiederstein verwies darüber hinaus auf die im Text steckende Thematik von Verschwörungstheorien und Fake News. "Gepflegt und präzise" fand Hildegard Keller die Sprache, STANDARD-Redakteur und Juror Stefan Gmünder hatte "Respekt vor dem Text", fand ihn "aber symbolisch überladen. Der Autor vertraut dem Text nicht."

"Mittelweg nicht das Beste"

Über einen Mann, der vom Himmel fiel, versuchte dann in Gianna Molinaris Text "Loses Mappe" ein Mann namens Lose ein vollständiges Bild zu schaffen. Er sammelt dazu Fotos, Zeitungsausschnitte etc. aufgrund derer sich der vom Himmel gefallene Mann als in einem Flugzeugfahrwerk erfrorener Flüchtling herausstellt, Genaueres bleibt aber rätselhaft. Dass Lose Nachtwächter ist und somit auf wesentlich kleinerer Ebene ein Interesse vertritt, das dem des Toten entgegengesetzt ist, ist geschickt gebaut.

Auch Winkels fand dieses Arrangement "toll", aber langsam fortschreitend und somit "auch etwas langweilig". Gmünder fand den Text "am verminten Gelände der Flüchtlingskrise durch ruhiges Erzählen gut gemacht mit einfachen Mitteln". Kastberger stieß sich an den in den Text, der auf dem tatsächlichen und medial berichteten Ereignis eines solchen Toten beruht, eingestreuten Bildern und fand den "Mittelweg" aus Literarisierung und Dokumentation "nicht das Beste, was man daraus machen konnte".

Auswandern und flüchten

Weitgehend vernichtet und nur von einer seltenen Allianz aus Kastberger und Feßmann gelobt wurde der Text der Südtirolerin Maxi Obexer, der deren eigene Erfahrungen von ihrer Ankunft in Deutschland/Berlin, wo sie seit langem lebt, und ihrem Coming Out dort mit heutigen Flüchtlingen nach Europa kontrastiert, dabei letzterem Thema aber kaum mehr als die Betroffenheit einer Beobachterin hinzuzugeben hatte.

Winkels warf dem Text vor, er sei aus der Perspektive des Komforts gedacht und eine Zweiteilung der Welt in böse Europäer und gute Ausländer und geprägt von Klischees, Vorurteilen und klassischen Ressentiments. Feßmann, die Obexer eingeladen hatte, lobte vor allem deren "abgerüstete Sprache" und das Thema des Zur-Sprache-Kommens, das Obexer als Deutschsprecherin aus Südtirol mitverarbeite. Für Gmünder "zündete der Text über Zugehörigkeit nicht richtig", für ihn kam es sogar zu "Kurzschlüssen", sodass die Flüchtlingsgeschichte konterkariert oder gar entwertet werde. "Ich halte es für misslungen."

Kegel fehlte es an literarischer Finesse, dafür war ihr in dem Text zu viel "moralische Sortierung der Welt". Für Keller passten die Erzählstimmen der Stränge nicht zueinander, für Wiederstein standen inhaltlich zu viele Teile nebeneinander, verknüpft zwar durch Begriffe von Freiheit, aber eben zu unterschiedliche. Diese Vielheit war aber gerade Kastberger lieber als Texte über aktuelle Flüchtlinge, die glaubten, sie dürften sich deshalb nur mit diesem einen Thema beschäftigen.

Abenteuerromantik

Von Männern und Pferden und ihnen im Kampf gegenüber stehenden Wölfen erzählte Urs Mannhart als letzter Starter der Ausgabe. Das erinnerte inhaltlich bis gegen Ende an Wolfsroman-Abenteuer-Romantik, ehe in der Geschichte aus Kirgistan die Rolle der Frau anklang. Unter dem Überbau von Männlichkeit und Wölfen würden die Frauen in der geschilderten Gesellschaft allmählich qualifizierter als die Männer, bemerkte Gmünder.

Kastberger wollte so viel hingegen nicht selbst in diesen Text hineininterpretieren müssen, den er "ununterscheidbar von Wolfsgeschichten aus dem 19. Jahrhundert" fand und von dem er meinte, Wladimir Putin würde ihn mögen. Kegel fand die "dichte Beschreibung einer fremden Welt" gut, wenn auch manchmal "zu sehr Fototapete". Sie traf auch Gmünders Geschmack, der die Funktion von Literatur als Probehandeln und Kennenlernen u. a. fremder Gesellschaften anmerkte. Wiederstein, der Mannhart eingeladen hatte, erklärte den Text zu einem ohne Brimborium und viel Deutungsnotwendigkeit verständlichen. "Was es bedeutet, steht so da." Mannhart war ja als Reporter in Kirgistan, diesen journalistischen Zugriff sprach auch Keller an.

Das Favoritenfeld aus John Wray und Ferdinand Schmalz wurde mit dem letzten Lesetag jedenfalls nicht mehr erweitert. (wurm, 8.7.2017)