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Eine nuklear bestückbare Minuteman-Interkontinentalrakete bei der Wartung in einem US-Raketensilo.

Sebastian Kurz hat alle Hände voll zu tun. Wer aber des Außenministers Tweets der letzten Wochen folgt, käme nicht auf die Idee, dass er in seiner ministeriellen Eigenschaft was Besonderes mit auf den Weg gebracht hat. Kritiker räumen spekulierend ein, dass er es zumindest nicht verhindert hat. Nämlich ein rechtlich bindendes Instrument zum Verbot von Atomwaffen, welches am Freitag in New York mit 122 Stimmen angenommen wurde.

Dabei könnte ein Atomwaffenverbot durchaus als internationales Leuchtturmprojekt und als gesellschaftliches Anliegen bezeichnet werden. Nur sehr wenige sind hierzulande ernsthaft für Atomwaffen, die Mehrheit will den Nuklearpakt Nato auf Distanz halten, und sogar das Verfassungsgesetz für ein "atomfreies Österreich" – auch AKWs sind gemeint – war ein Allparteienantrag.

Trotz zahlreicher Rüstungskontrollabkommen ist die vielfach vorhandene globale Vernichtungskapazität nicht nur für sie heute ein guter Grund für Beunruhigung. Nordkoreas Arsenale als Faustpfand gegen einen Regimewechsel. US-Modernisierungsprogramme und Überraschungspakete von Donald Trump. Konventionelles Mittelgewicht und nukleares Schwergewicht in Moskau. Zu den "nuclear nine" zählen noch China, Indien, Pakistan, Großbritannien, Frankreich und Israel. Beim derzeit laufenden "Aufstieg und Fall der großer Mächte" (Paul Kennedy) spielen Atomwaffen keine unbeträchtliche Rolle. Dazu kommt noch das Eskalationspotenzial neuer im Gefechtsfeld einsetzbarer Atomwaffen. Vom Risiko einer "schmutzigen Bombe" in Händen von Kriminellen ganz zu schweigen. Atomwaffen sind ein Faktum. Aber geht die Zahnpasta zurück in die Tube?

Abrüstungspläne sind zahlreich. Zum Teil mit der Vision einer atomwaffenfreien Welt oder – kleinere Brötchen – dass zumindest niemand eine solche Waffe zündet. Der von Österreich vor knapp drei Jahren initiierte "humanitarian pledge" ging davon aus, dass die Folgen eines Atomwaffeneinsatzes humanitär, ökologisch, medizinisch oder wirtschaftlich unkontrollierbar sind. Als Konsequenz wurde ein rechtlich bindendes Instrument zum Verbot von Atomwaffen vorgeschlagen. Man ging damit in die UN-Generalversammlung. Nicht die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates – allesamt Atomwaffenstaaten – sollten entscheiden, sondern alle UN-Staaten auf Augenhöhe. Am 24. Dezember wurde abgestimmt, und über 120 Staaten waren für Verhandlungen, ab März wurde beraten.

Verboten ist die Entwicklung, der Test, die Produktion, jeglicher Erwerb, Besitz, Stationierung, Aufstellung und Lagerung von Atomwaffen und nuklear explosiven Vorrichtungen. Ebenso untersagt sind der Transfer und die Weitergabe oder der Empfang vonKontrolle über Atomwaffen. Rechtswidrig ist natürlich die Verwendung oder nur deren Androhung.

Zielsetzung ist insgesamt die völlige Eliminierung von Atomwaffen. Das bedeutet, dass auch Atomwaffenstaaten oder jene, die nicht alle Aspekte des Vertrages erfüllen, zur Teilnahme am Vertrag eingeladen sind. Eine harte Verhandlungsnuss war, ob und wie ein Ausstieg möglich ist. Ein zu schwieriges Verlassen sollte keinen Staat am Eintreten hindern. Gretchenfrage ist dabei Vertrauen in den internationalen Beziehungen. Wie viele Standards und Paragrafen braucht es dafür? Grundgedanke des Vertrages ist, den Rückwärtsgang Richtung Atomwaffen zu demontieren.

Zwei Realitäten

Leicht nachvollziehbar ist, dass die Atomwaffenstaaten nicht an den Verhandlungen teilgenommen haben. Sie wollen die Aufteilung der Welt in nukleare "Habenichtse" und ihren nuklearen Muskeln aufrechterhalten. Alle Nato-Staaten sind über die nukleare Teilhabe unter dem Schirm der Nukleardoktrin. Die Krux an der Sache: 21 Nato-Staaten sind auch EU-Staaten. Das EU-Parlament ist mehrheitlich der Auffassung, die Mitgliedstaaten sollten die Vertragsverhandlungen "willkommen heißen" und "konstruktiv teilnehmen". Nicht zum ersten Mal haben diese Staaten eine Nato-Meinung und eine EU-Meinung, die sich widerspricht. Für manche Staaten existiert neben einer Nato-Realität ebenso eine parlamentarische EU-Realität. Militärische Bündnisloyalität sticht Wertegemeinschaft. Keine großen völkerrechtlichen Kenntnisse braucht es, um zu sehen, dass die Nukleardoktrin der Nato und die Stationierung von US-Atomwaffen in Europa mit dem Verbotsvertrag unvereinbar sind.

Einen "kurzen und knackigen Vertrag" hat sich ein österreichischer Diplomat vor der letzten dreiwöchigen Verhandlungsrunde gewünscht. Herausgekommen ist Herzeigbares in zehn Seiten und 20 Artikeln. Für ein pazifistisches, umfassend gedachtes "Sehr gut" reicht das Ergebnis nicht, aber für eine Zwei mit Plus allemal. Problematisch erscheint das "unveräußerliche Recht" auf die "friedliche Nutzung" von Nuklearenergie. Der Vertrag zur Nichtweiterverbreitung (NPT) schreibt dieses Recht auch fest, wenngleich militärische und zivile Nutzung in der heutigen Realität kommunizierende Gefäße sind.

Der Verbotsvertrag hat – zugegeben – keine einzige Atomwaffe in Luft aufgelöst. Das wusste man schon vorher, dass kein Staat deshalb abrüstet. Der Vertrag ist nur Teil des Erfolges. Gewonnen ist ein zusätzliches Instrument, welches auf völkerrechtlicher Basis steht und das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen stärkt. Putin, Trump, Macron oder Netanjahu sollen ihre nuklearen Einsatzszenarien ihren Partnern und ihrer Bevölkerung erklären müssen. Die Rolle der NGOs bei der Bewusstseinsbildung wird im Vertrag hervorgehoben. (Thomas Roithner, 10.7.2017)