Die Tiroler Festspiele Erl brachten als Premiere Rossinis Oper "Semiramide": exzentrische Märsche durch ebenso abstrakte wie karge Bühnenlandschaften. Foto: Bender

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Erl – Zügig fließt er durch Kufstein, der Inn, denn er will ja weiter nach Erl. In dem kleinen Ort sind wieder einmal Festspiele, schon zum 20. Mal. Im mächtigen Passionsspielhaus hat Gustav Kuhn 1998 erstmals Opern von Richard Wagner aufgeführt. Und seit knapp fünf Jahren steckt gleich nebenan, Präsident Hans Peter Haselsteiner sei Dank, das neue, futuristische Festspielhaus im grünen Hügel.

Im kühnen Bau zeigt man Mozartopern und pflegt den Belcanto, heuer in Form von Gioacchino Rossinis Semiramide. Die letzte italienische Oper des Schnellschreibers, 1823 im La Fenice in Venedig uraufgeführt, beschäftigt sich mit der von zahlreichen Sagen umwobenen Frauenfigur aus Babylonien. Im Libretto Gaetano Rossis wird der allmächtigen Königin etwa angedichtet, ihren Ex-Gemahl, König Nino, ermordet haben zu lassen. Und um ein Haar heiratet sie auch noch ihren Sohn.

Der Geist des ermordeten Königs spukt noch heftig herum in dem Stück, so wie der Geist des Gesamtkunstwerkers Gustav Kuhn über der Inszenierung schwebt. Als für die Gesamtproduktion verantwortliche Dreifaltigkeit wird zwar Alfredo Troisi (Bühnenbild), Lenka Radecky (Kostüme) und Katharina Glas (Choreografie) genannt, doch sind in dem szenischen Geschehen unschwer einige seit Jahrzehnten wiederkehrende Gepflogenheiten des Regiekuriosums Kuhn zu erkennen. Da pilgert der Chor im langsamen Gänsemarsch durch klösterlich karge, abstrakte Bühnenlandschaften, da verlebendigen Tänzer das starre szenische Geschehen, das gern in symmetrischen Gruppenbildern verendet. Als Highlight sei hierfür das Schlussbild des ersten Aktes genannt: ganz großer Trash.

Pepp in die Unternehmung bringen Radeckys Kostüme, die zwischen Sexyness und Trash, zwischen Donatella Versace und Harald Glööckler oszillieren. Da ist Semiramide (Maria Radoeva) mit ihrem blumenbestickten Bodysuit und ihren semitransparenten Abendkleidern ganz sexy Hexi. Ihr Sohn Arsace/Ninio (Svetlana Kotina) trägt überknielange Lackstiefel mit bleistiftdünnen High Heels: eine androgyne Jeanne d'Arc des Orients. Der Bad Boy des Stücks, Prinz Assur (Giovanni Battista Parodi), verbreitet mit seinem lilafarbenen Langmantel und dem blondierten Mittelstreifen seines Haupthaars Angst und Schrecken, und der indische Prinz Idreno (Hui Jin) schaut aus wie Liberace auf dem Kostümball.

Doch in musikalischen Belangen präsentieren sich die Dinge, wie so oft in Erl, hochseriös. Die junge Bulgarin Radoeva singt die Partie der Majestät aus dem Morgenland exzellent, mit einem kecken, agilen Sopran, der sowohl Eleganz als auch Durchschlagskraft bietet. Herausragend der weiche, füllige, satte Alt von Kotina, der in allen Lagen betört. Auch Hui Jin verströmt in seinen Arien Wohlklang vom Feinsten. Die Virilität, mit der Parodi den Prinzen Assur ausstattet, hat eine leicht proletenhaft röhrende Note. Solide Raphael Sigling (Oroe) und Maria Rosaria Lopalco (Azema).

Im Orchestergraben leitet Kuhn das Festspielorchester zu Leichtigkeit und sinnlicher Eleganz an; wundervoll etwa die vielgestaltige Zeichnung der Accompagnato-Rezitative. Die Ouvertüre spielt Querkopf Kuhn in der Erler Semiramide mitten im ersten Akt, als Rausschmeißer vor einer eingeschobenen Pause. Jubel nach knapp fünf Stunden für all dies. (Stefan Ender, 10.7.2017)