Albtraum eines Salafisten: Künstlerin Nadia Khiari setzt sich mit ihren Katzenkarikaturen gegen Autoritäten und für Frauenrechte ein. Von Salafisten wurde sie wegen ihrer harschen Kritik an radikalen Strömungen mehrfach bedroht.

Foto: Nadia Khiari

Karikaturen als Protestform: Nadia Khiari aus Tunesien.

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"Willis aus Tunis".

Foto: Nadia Khiari

Karikaturist versus Salafisten: "Also wie, dein Bleistift, das ist deine Waffe?"

Foto: Nadia Khiari

STANDARD: Warum zeichnen Sie ausgerechnet Katzen?

Nadia Khiari: Weil ich einen Kater habe, der Willis heißt. Und "Willis aus Tunis" reimt sich (lacht). Inspiriert haben mich all die streunenden Katzen. Sie sind wild. Sie gehorchen niemandem, schon gar keiner Autorität. Mir gefällt dieser Charakterzug sehr. Sich niemals und niemandem zu unterwerfen. Ich verwende sie für alle Botschaften, die ich vermitteln will, und für jegliche Personifizierung – Politiker, IWF-Delegierte, Salafisten, Karikaturisten oder Journalisten.

STANDARD: In Ihrer ersten publizierten Katzenkarikatur war es Exdiktator Zine el-Abidine Ben Ali …

Khiari: Ich wollte testen, ob die Internetzensur aufgehoben ist, nach einer der letzten Ansprachen Ben Alis, die er erstmals im typisch-tunesischen Dialekt hielt. Zuvor sprach immer im klassischen Hocharabisch. Immer wieder betonte er: "Ich habe euch verstanden." Deshalb freuen sich die Mäuse über den von ihm "gesenkten Käsepreis" in meiner Karikatur. Es war nur eine Taktik, um sich im Amt zu halten. Vergebens, er floh nach Saudi-Arabien.

STANDARD: Ist die die Karikatur stärker als das geschriebene Wort?

Khiari: Ich denke, ja. Sie ist ein Konzentrat einer Situation, die man in Sekundenbruchteilen vermittelt. Soziale Netzwerke sind dafür die ideale Plattform, weit besser als Zeitungspapier. Denn wir leben in einer Echtzeitgesellschaft, und Karikaturen verbreiten sich in dieser enorm schnell.

STANDARD: Wie gehen Sie mit den Drohungen der Salafisten um?

Khiari: Wir sind doch alle bedroht. Zum Glück waren alle Drohungen, die sich gegen mich richteten, im virtuellen Raum und nicht in der realen Welt. Online fühlen sich Salafisten mutiger als in der Anonymität. Ihr Ziel ist es, Angst zu schüren. Wenn man Angst hat, haben sie gewonnen. Dann ist man gelähmt und kann nicht reflektieren oder reagieren. Ich zeichne weiter und bemühe mich, dabei so frei wie möglich zu sein.

STANDARD: Wie steht es um die Jugend Tunesiens?

Khiari: Fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt. Das Einzige, woran sie denken, ist auszuwandern, mit dem Boot nach Lampedusa oder eben nach Frankreich. Es gilt, diese aufzuhalten mit Arbeitsplätzen, die man für sie schafft. Mit Perspektiven und mit Räumen, wo sie sich künstlerisch ausdrücken und verwirklichen können. Im ersten Jahr nach der Revolution hatte man Hoffnung, dass man aus eigener Kraft etwas erreichen kann. Mit der wirtschaftlichen Lage, die eine Katastrophe ist, zeigte sich, dass man als junger Tunesier viele Probleme hat. Sie haben nichts zu tun. Sie verbringen die Tage auf der Straße.

STANDARD: Ist das ein fruchtbares Terrain für Salafisten?

Khiari: Sie sind überall und sehr effizient. Es wäre schön zu sehen, wenn die tunesischen Behörden und die Politik ähnlich effizient arbeiten würden. Im Parlament ist es peinlich, wie viele Abgeordnete der Opposition Abstimmungen fernbleiben. Die Einzigen, die immer Präsenz zeigen, sind die Islamisten der Ennahda. Die Opposition bildet kein Gegengewicht, vielmehr sind sie Komplizen.

STANDARD: Wie geht es mit der Aufarbeitung der Diktatur voran?

Khiari: Die Diktatur ist noch in den Köpfen präsent. Es herrscht eine gewisse Nostalgie. Damals "lief alles rund"‚ "es gab Sicherheit", heißt es. Was in Vergessenheit geraten zu scheint, ist: Für diese Freiheit sind Menschen gestorben. Zahllose waren jahrelang inhaftiert. Aber Menschen lechzen leider nach Sicherheit. Darum macht man ihnen permanent Angst. Das perfekte Mittel zur Unterwerfung der Bürger, das überall funktioniert. Die tunesische Gesellschaft ist eine sehr konservative und stark religiöse. Es gibt viele Tabus. Man verbleibt im faulen Konsens, was Homophobie und Machismo, Drogengesetze in Sachen Cannabis oder die Frauenrechte betrifft. Seitens der Politik hört man stets, es sei nicht der Zeitpunkt gekommen, diese Themen anzupacken. Doch wann? Gebt mir ein Datum! Der ist jetzt und Punkt.

STANDARD: Wie steht es um die Meinungsfreiheit?

Khiari: Die schöne Energie der Revolution existiert noch. Aber man muss jeden Tag darum kämpfen. Das Erlangen der Meinungsfreiheit war eine Explosion für Tunesien, der erste Schritt zur Demokratie. Große TV-Sender und Tageszeitungen hängen jetzt wieder am Tropf der Macht. Es gibt kaum mediale Gegenöffentlichkeit abseits einiger Onlinezeitungen, wie "nawaat.org". Deren Chefredakteur hat man mehrmals zur Polizei zitiert. Methoden, die an Ben Ali erinnern. Solche Attacken waren zahlreich, und ich sehe dieselben Tendenzen, die sich in Europa bei Tageszeitungen und Medien abzeichnen. Ein Hang zur Selbstzensur aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeiten von der Politik und großen, multinationalen Konzernen. In Tunesien gibt es keine Zensur von oben. Aber Selbstzensur, weil man der Politik der islamistischen Ennahda nicht mit Kritik zu nahe und Salafisten nicht auf die Füße treten will. Aber Obacht, Selbstzensur ist der letzte Schritt zur Diktatur.

STANDARD: Was bewegte Sie dazu, Graffiti zu machen?

Khiari: Ein jeder schreibt hier auf die Wände, weil wir mehr als zwanzig Jahre den Mund halten mussten. Nun haben wir Mauern, die wir für unsere Botschaften nutzen, auf Facebook und in der realen Welt. Leider sind Graffiti verboten. Doch wer nichts Verbotenes tut, dem gelingt keine Revolution. (Jan Marot aus Granada, 11.7.2017)