Elmire (Sophie von Kessel) und Tartuffe (Philip Dechamps).

Foto: Matthias Horn

Wieder nur Stiegen als Bühne. In der Mitte, wo ein holzgetäfelter Wandschrank als Garderobe dient, kreuzen sie sich; keine Requisiten, keine Möbel (Bühne: Raimund Orfeo Voigt). Mateja Kolezniks Münchner Inszenierung von Molières Tartuffe wirkt in diesem Bühnenbild wie eine Fortsetzung von Ibsens Wildente, die im Mai im Theater in der Josefstadt Premiere hatte. Wieder huschen, stolpern und belauschen einander die Figuren – ausschließlich im Stiegenhaus. Oft sieht man nur Auftritte und Abgänge, die großen Auseinandersetzungen hört man manchmal lediglich aus dem Off, im Hintergrund.

Wie bei Ibsen Wildente geht es auch in Molières Tartuffe um "Lebenslügen" der Institution Familie. Deren Auflösungserscheinungen spiegeln sich nämlich überraschend deutlich in der vorbürgerlichen, ein wenig dekadenten, immer zu Küsschen bereiten Partygesellschaft Molières. Hans Magnus Enzensberger hatte das schon 1979 in seiner Bearbeitung von Der Menschenfeind einleuchtend aktualisiert.

Harmlose naive Komödienfiguren sind sie alle nicht. Sympathisch niemand, von sentimentaler Zuneigung zueinander kaum eine Spur, auch nicht beim Liebespaar. Nora Buzalka als Tochter und Sophie von Kessel als Mutter kalkulieren ausschließlich ihre sozialen Chancen. Vater und Großmutter können da den Zerfall der alten Werte nicht aufhalten. Sie setzen auf Hilfe von außen, auf den Frömmler Tartuffe, haben aber selbst keine Autorität mehr. Das Patriarchat hat ausgedient.

Machtloser Familienvater

Im Zentrum steht in dieser Inszenierung am Residenztheater aber nicht der Betrüger und Schmarotzer Tartuffe, der immer wieder leise, aber bedrohlich über die Treppen schleicht (Philip Dechamps) und sich trotz vieler Widerstände in der Familie geschickt und unaufdringlich eingenistet hat, sondern der machtlose Familienvater (Oliver Nägele). Immer wieder keucht Papa Orgon mühsam die Stiegen hinauf, auch er erscheint wenig mitleiderregend. Wenn er seinen Sohn (Christian Erdt) endgültig des Hauses verweist, dann murmelt er das so beiläufig, dass man glaubt, nicht recht gehört zu haben, und wirkt auf diese Weise viel nachdrücklicher als durch einen lauten Zornausbruch. Dafür wäre er auch schon viel zu schwach.

Kein Komödienschluss

Das Ende, wenn die Familie zunächst aus ihrem Haus gewiesen wird, wird Orgons Herz dann nicht mehr packen. Einen Komödienschluss verweigert Mateja Koleznik. Kaum länger als die Folge einer Vorabendserie, oft oberflächlich erscheinend und dennoch und paradoxerweise gerade deshalb: ein verstörendes Gesellschaftsporträt. (Bernhard Doppler, 11.7.2017)