Der mündige Patient sollte nicht einfach alles schlucken.

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Der medizinische Nutzen ist in 50 Prozent der Behandlungsfälle unklar, heißt es vonseiten der OÖGKK.

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Linz – Einfach einmal nichts tun – eine Lebenseinstellung, die dem persönlichen Wohlbefinden durchaus zuträglich ist. In den Arztpraxen ist diese Laissez-faire-Haltung mitunter verpönt. Am oberen Ende des Stethoskops ist das Denken zumeist pharmazeutisch, der Griff zum Rezeptblock bleibt nur selten aus. Ganz nach dem Motto: Lieber zur Sicherheit ein Pulverl zu viel. Sagt doch schon der Volksmund: "Hilft's nicht, so schadet's nicht".

Doch in der Medizin ist dies ein fataler Irrtum: Denn jede unnötige Behandlung bringt keine zusätzliche Besserung der Gesundheit – dafür neue Risiken und Gefahren. Vonseiten der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK) legt man jetzt die Hand auf's Pillendoserl: Mit einer verstärkten Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung im Bereich der Überversorgung will man künftig dem medikamentösen Gießkannenprinzip entgegentreten. Denn laut OECD-Studie wären 20 Prozent aller Gesundheitsausgaben an anderer Stelle besser angelegt

Kein Medizin-Sparefroh

"Uns geht nicht darum, den Sparstift anzusetzen. Wir wollen uns einfach den drei Themen Über-, Unter- und Fehlversorgung stellen. Es ist unser Anspruch, den Versicherten das Optimale zur Verfügung zu stellen. Und wenn wir das wollen, müssen wir uns diesen drei Bereichen widmen", ist OÖGKK-Obmann Albert Maringer überzeugt. Unnötige Diagnosen, Therapien und Folgebehandlungen seien "eine Verschwendung von Zeit und begrenzten Ressourcen". Maringer: "Die Folgen sind längere Wartezeiten für tatsächliche notwendige Untersuchungen, weniger Zeit für den einzelnen Patienten und weniger finanzielle Mittel für medizinisch sinnvolle Maßnahmen".

OÖGKK-Direktorin Andrea Wesenauer sieht einen Grund für die "Überdosierungen" bei den Patienten selbst: "Da gibt es einfach Begehrlichkeiten. Die Patienten kommen zum Arzt und sagen 'Ich will das jetzt'. Und oft ist es dann für Ärzte der leichtere Weg, ein Medikament zu verschreiben." Auch spiele die Angst vor Behandlungsfehlern eine große Rolle: "Da lautet das Motto dann 'Lieber einmal zu viel verordnet, bevor etwas passiert."

Zuwenig werde heute auch über die Risiken diverser Untersuchungen aufgeklärt. Wesenauer: "Mehr CT-Untersuchungen bedeuten mehr Strahlenbelastung. Da hat man dann schon allein durch die Screenings ein erhöhtes Krebsrisiko." Die OÖGKK-Direktorin belegt die Kritik an einer Überversorgung auch mit konkreten Zahlen: "Wir haben einen Patienten, der hatte in zwei Jahren 53 CT-Untersuchungen, ein anderer im selben Zeitraum 62 Röntgenanalysen. Ein dritter Patient war bei 23 verschiedenen Zahnärzten – 86 Zahnröntgen, davon 18 Panoramaröntgen."

Cyber-Misthaufen

Es gehe aber nicht um Schuldzuweisungen, so Wesenauer. "Es tragen alle zu diesem Phänomen bei. Kein Patient, Arzt oder Krankenversicherer wünscht sich Überversorgung. Die Ärzte verlieren Zeit, ohne aber den Patienten zu heilen. Zeit, die anderswo für wirkungsvolle Einsätze fehlt. Zudem haben wir Krankenversicherer das Problem, jeden Euro nur einmal ausgeben zu können."

Gerald Bachinger, Sprecher der österreichischen Patientenanwälte, fordert bei "diesem sensiblen Thema" vor allem auch ein Umdenken bei den Patienten: "Ein Problem sind Patienten, die glauben, ihnen werde nur geholfen, wenn der Arzt viel verschreibt. Nach dem Motto: Wenn etwas gut ist, kann es nur gut sein, wenn man mehr davon gibt."

Auch spiele, so Bachinger, das Internet eine entscheidende Rolle: "Das ist ein großer Misthaufen mit ganz wenigen Perlen drinnen. Nur findet die kaum wer. Die Patienten kommen also mit einem Halbwissen und medizinischen Fehlinformationen zum Arzt – und stellen entsprechend vehement Forderungen."

Unkritischer Antibiotika-Einsatz

Die Gefahren eines allzu sorglosen Umgangs lassen sich am Beispiel Antibiotika festmachen. "Der häufige und unkritische Einsatz von Antibiotika bringt keinen Vorteil für die Gesundheit, sondern kann sogar zum tödlichen Risiko werden", warnt OÖGKK-Chefärztin Chefärztin Anneliese Luft. Laut WHO würden alleine in Europa rund 25.000 Menschen an Infektionen mit multiresistenten Bakterien, die meist in Gesundheitseinrichtungen erworben wurden, sterben.

Luft: "Liegt eine Resistenz vor, können bakterielle Infektionskrankheiten nur mehr schwer oder gar nicht mehr behandelt werden. Neben dem Einsatz in der Tiermast ist die unkritische Verschreibung und falsche Anwendung die Hauptursache für Resistenzen." (Markus Rohrhofer, 13.07. 2017)