Hier wird ein unbelehrbarer Quälgeist (Matthias Mamedof) von seinem grazilen Double (Andrea Eckert) erfolgreich therapiert.

Foto: Joachim Kern

Gutenstein – Raimunds Der Alpenkönig und der Menschenfeind erzählt von einem medizinischen Wunder. Die Poesie dieses herrlichen Zaubermärchens liegt in der Geringschätzung, mit der sein Autor sich den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit stellt.

Ein Geisterkönig mit magischen Fähigkeiten lässt sich dazu herab, einen manisch-depressiv Verstimmten von dessen Galle zu befreien. Im Theaterzelt der Raimundspiele Gutenstein hat man die Welt des royalen Potentaten gegen einen Rummelplatz eingetauscht. Eine geheimnisvolle Dame mit Borsalino und Jonglierkugeln heißt die Gäste herzlich im "Eispalast Zum Alpenkönig" willkommen.

Die mit dem Schnee der Alpen bepinselte Budenkulisse (Bühne: Katharina Wöppermann) signalisiert die kühle Lagerung von Ferdinand Raimunds Poesie. Und wirklich hat Prinzipalin Andrea Eckert – sie selbst gibt die pfiffige Kiezmatrone – mit Regisseurin Emmy Werner die denkbar nüchternste Anwältin für Raimunds notorische Daseinsbeschwerden gefunden.

"Der Menschenfeind" Rappelkopf erleidet, in Begriffen des 20. Jahrhunderts gesprochen, eine Psychose. Aus angeblicher Enttäuschung im Umgang mit besonders trostlosen Vertretern des Menschengeschlechts resultiert eine schwer zu beschwichtigende Tobsucht. Doch in Gestalt von Matthias Mamedof atmet die Paranoia des Familienvaters einen eher milden Schrecken. Er haust im Garten, in den Überresten eines entzweigeschnittenen Wohnwagens. Seine Empörung speist sich vor allem aus dem Umstand, dass seine missratene Sippe ihn keine Bücher lesen lässt.

Mamedof spuckt Gift und Galle. Manchmal scheint er Löcher in die so gebrechlich eingerichtete Welt zu starren. Seine ihm Zugemutete (Anette Isabella Holzmann) ist ihrerseits mit den Nerven fertig. Die naive Tochter (Tanja Raunig) und deren pfirsichfrischer Verlobter (Stefan Rosenthal) turteln wie die Taferlklassler. Beim Versteckspielen bedienen sie sich der bereitgestellten Infrastruktur. Fragmente eines "Irrgartens" beleben die neckische Hatz.

Spätestens dann, wenn Stubenmädchen Lise (Anita Kolbert) ihre Renitenz postjugoslawisch artikuliert, ist es so weit. Man gibt Rappelkopf, dem Quälgeist, in allen Punkten recht. Der Zauber des Panoptikums verblasst, die Raimundfiguren werden einem von Herzen gleichgültig, ja: zuwider. Und doch reißen alle Beteiligten das Ruder noch einmal herum. Das Wunder geschieht. Mamedof kehrt, in die Gestalt des eigenen Schwagers verwandelt, nüchtern-müd nach Hause zurück. Die schlanke Andrea Eckert, als Astragalus eine diplomierte Therapeutin, stapft ihm sein skandalöses Betragen als bürgerliches Wutballett noch einmal grazil vor.

Der einfältige Diener Habakuk (Eduard Wildner), der nur davon lebt, zwei Jahre (nicht) in Paris gewesen zu sein, bildet das heimliche Herz der Aufführung. Wie ein Patient in Zivil straft er die Unleidlichkeit seines maskierten Arbeitgebers Lügen. Alles an ihm, der Unfug, die Einfalt, ist durchgeistigte Poesie: der beste Habakuk seit dem unvergessenen Walter Schmidinger. Und so schließt man gerne alpinen Frieden mit diesem Raimund am Rummel: Sommertheater, das Skepsis lehrt. (Ronald Pohl, 13.7.2017)