50er-Jahre-Häuser statt Baracken: Heute sind vom KZ Flossenbürg nur noch Bruchstücke übrig. Viele Besucher werden auf der Suche nach den Bildern im Kopf enttäuscht – eine Chance für die Gedenkstätten.

Foto: Gedenkstätte Flossenbürg

Besucher im KZ Flossenbürg auf der Suche nach dem schmiedeeisernen KZ-Tor. Die Besucher werden durch die Irritation zum Nachdenken gebracht, sagt der Leiter der Gedenkstätte Jörg Skriebeleit.

Foto: Gedenkstätte Flossenbürg

Berchtesgaden – Ein Selfie am Eingang des KZ Dachau vor dem bekannten Tor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei", ein Foto mit leeren Zyklon-B-Kartuschen in Auschwitz oder der fotografisch festgehaltene Handstand beim Holocaustmahnmal in Berlin – Andenken, die viele Besucher von NS-Gedenkstätten mitnehmen.

Der Massentourismus ist in NS-Gedenkstätten längst angekommen. Nationalsozialistische Lager und Todesstätten verzeichnen von Jahr zu Jahr neue Besucherrekorde. 2016 wurden erstmals mehr als zwei Millionen Besucher im ehemaligen KZ- und Vernichtungslager Auschwitz gezählt. Auch auf dem Obersalzberg, dem ehemaligen Feriendomizil Adolf Hitlers, steigen die Besucherzahlen, die Ausstellungsfläche wird nun verdoppelt. Mittlerweile kommen pro Jahr rund 170.000 Besucher aus der ganzen Welt.

Auschwitz ist eine Holcaustikone

"Morbide Orte besitzen einen hohen Attraktionswert", sagt der Kulturwissenschaftler Jörg Skriebeleit beim Obersalzberger Gespräch am Donnerstagabend in Berchtesgaden. Seit 1995 haben britische Forscher dafür den Begriff des "dark tourism" geprägt. Vor knapp zwei Wochen ging dazu eine Konferenz in Glasgow zu Ende.

Doch das Phänomen ist nichts Neues, sagt Skriebeleit. Schon in den 20er-Jahren hat sich Karl Kraus über die Schlachtfeldfahrten empört. Heute preisen Reiseveranstalter in Krakau Busfahrten nach Auschwitz mit Aircondition an. "Auschwitz ist eine Holocaustikone, ein Must-see, das Tor von Auschwitz ist die spanische Treppe Polens und die Zyklon-B-Dosen die Mona-Lisa", spitzt Jörg Skriebeleit die Faszination an Orten des Todes zu.

KZ Flossenbürg besiedelt

Skriebeleit leitet die Gedenkstätte des ehemaligen KZ Flossenbürg. Dem Stammlager im Oberpfälzer Wald an der Grenze zu Tschechien waren fast 90 KZ-Außenlager zugeordnet. "Nichts von den medial geprägten Bildern im Kopf der Leute ist da. Die Menschen sind irritiert und enttäuscht. Das begreifen wir als große Chance", sagt Skriebeleit. Baracken, Gaskammern oder dergleichen fehlen in Flossenbürg. Die Baracken wurden in den 50er-Jahren niedergerissen und Einfamilienhäuser gebaut. Das prägnante eiserne Eingangstor befindet sich nicht mehr am historischen Ort, sondern wurde beim Krematorium aufgestellt.

Der Grat zwischen touristischer Nutzung und verantwortungsvoller Erinnerungskultur ist schmal. Der Wunsch der Gedenkstättenleiter sei, den Menschen Geschichte zu vermitteln und für die Würde der Opfer zu sorgen – soweit das bei Touristengruppen, die sich 90 Minuten Zeit nehmen, überhaupt möglich ist.

Besucher ernst nehmen

"Wir sind keine Gutmenschen-Katalysatoren, aber ich glaube schon, dass wir was erreichen können", betont Skriebeleit. "Dazu müssen wir aber möglichst alle Besucher ernst nehmen, aber auch irritieren und zum Nachdenken bringen." Viele Touristen würden auch Geschehnisse in der Gegenwart, wie die NSU-Verbrechen antreiben, sich der Geschichte zu widmen. "Da müssen wir hinhören und nicht gleich mit dem großen moralischen Hammer hinhauen", sagt der Gedenkstätten-Leiter .

Der "dark tourism" ist eine Herausforderung. In Auschwitz seien die vielen Menschen, die das KZ aufsuchen, schon ein Problem, sagt Skriebeleit. Seit einem Jahr sind deshalb keine Einzelbesucher mehr erlaubt, nur noch Gruppen. "Das kann man ansonsten nicht bewältigen" – auch aus Gründen der Pietät. (Stefanie Ruep, 16.07.2017)