Der graue Zausel nennt sich Buzz Osborne (Mi.), der mit der Klodeckelbespannungsjacke (re.) ist Dale Crover. Sie sind die Melvins, zurzeit mit Steve McDonald am Bass.

Wien – Normalerweise ist der Name des Bassisten egal. Zumindest bei den Melvins. Der Platz am Viersaiter der US-Band ist ein Schleudersitz. Keine und keiner hielt es dort lange aus, sieben dubiose Gestalten wurden da bislang durchgereicht, diverse Live-Knechte nicht mitgerechnet. Gegen den aktuellen sperrt sich das Hirn ausnahmsweise nicht. Steve McDonald kennt man nämlich von Redd Kross, und die sind noch länger dabei als die Melvins.

Ansonsten gilt: Die Melvins sind König Buzz Osborne und Dale Crover. Der mit der wirren Frisur und der mit dem irren Blick. Die Melvins sind eine Institution. Eben haben sie ihr 25. Studioalbum veröffentlicht. Es heißt A Walk With Love and Death und besteht aus zwei CD-Scheiben. Am 24. Oktober werden sie deshalb mit Redd Kross im Vorprogramm in der Wiener Arena auftreten.

Zu den 25 Studioalben kommen rund ein Dutzend Livealben, etwa genauso viele Kompilationen und ein unübersehbarer Output an Singles und EPs, den die als Kleinfirma betriebene Band beständig veröffentlicht, meist über das Label Amphetamine Reptile.

Evan Bruton

Melvins sind eine Band von Nerds für Nerds. Wobei sich der Nerdbegriff musikalisch wertkonservativ zeigt. Schließlich bezieht die in Los Angeles beheimatete Band ihre Inspiration beim Hardrock der 1970er-Jahre und bei ein paar Aussätzigen des Punk und Hardcore.

Als wesentliches Merkmal galt und gilt ihr Talent, bei voller Stromstärke mit beiden Beinen auf der Bremse zu stehen. Ein Kunstgriff, der der Musik der Melvins eine mäandernde Wucht verleiht. Schnell kann jeder Trottel, langsam ist die Kunst.

Damit positionierten sie sich früh in der Nähe des Doom Metal. Doch Osborne und Crover schlagen bis heute gerne Haken und änderten immer wieder die Richtung. Dabei kreuzten sie kurzfristig den Zeitgeist, der ihnen im Post-Nirvana-Goldrausch einen Vertrag beim Major Atlantic einbrachte. In den 1990ern war das.

Bald waren viele der damals ebenfalls nach oben gespülten Protagonisten tot, hirnweich, reich oder wieder vergessen, die Melvins machten unbeirrt weiter. Bis heute.

Stringtanga und Handschuhe

Dass bei so einem immensen Output über so viele Jahre nicht alles Gold ist, ist logisch. Manche Alben der letzten zehn, fünfzehn Jahre wirkten wie Fingerübungen. Gänzlich daneben ging aber bloß Osbornes akustisches Album. Aber gut, eine Leich' hat jede Band im Keller, die seit den 1980ern dabei ist, und nicht selten ist es die eigene.

The Melvins hingegen erfreuen sich anhaltender Popularität. Osborne geht zur Zerstreuung gerne golfen, man muss das wohl als zeitgemäße Form seiner Punk-Haltung betrachten. Crover, der früher auf der Bühne oft nicht mehr anhatte als einen Stringtanga und Handschuhe, verbringt seine Freizeit als liebender Familienvater zweier Kinder und veröffentlicht dann und wann ein Soloalbum. Anfang August erscheint The Fickle Finger Of Fate, für das zurzeit David Yow Werbung macht. Ein befreundeter Irrer der Band und einst Sänger bei den fantastischen The Jesus Lizard.

Für A Walk With Love and Death hat man sich offenbar Zeit genommen. Die Death betitelte CD ist von immerwährender Melvins-Güte. Zähe Brocken aus der Erbmasse von Black Sabbath entwendet und mit sturer Unerbittlichkeit und eigenwillig verzögerten Tempi dem geneigten Publikum um die Ohren gehauen. Mit einem Song wie Sober-Delic (Acid Only) erblüht diese Kunst auf diesem Album in all ihrer abartigen Schönheit.

Dabei könnte der Titel aus 1972 ebenso stammen wie aus 1993 oder 2004. G'nackwatschen kennen kein Ablaufdatum. Der Röhrender-Hirsch-mit-nur-einem-Hoden-Gesang Osbornes ebenfalls nicht. Für Euthanasia, das darauf folgt, erhöht die Band das Tempo, besser wird es deshalb nicht – weshalb die drei danach wieder zurückschalten.

Weitere Songperlen heißen Edgar the Elephant, Christ Hammer oder Cactus Party. Melvinsianer haben längst aufgehört, darin Sinn zu suchen. Die Melvins pflegen einen schwarzen, trockenen und elitär-depperten Humor. Jackass mit Matura, wenn man so will. Das resultiert aus einer lebenslangen Beschäftigung mit Popkultur in fast all ihren Ausprägungen. Je schräger, desto Melvins.

Gotteserscheinungsgarantie

Daraus errichten sie Querverbindungen, daraus entstehen ihre Texte, noch ein paar Riffs aus der Magengrube Satans und ein Galeerentrommelworkshop beim Donnergott, fertig ist ein neuer Superhit. Die Death-Scheibe ist so betrachtet Hausmarke. Also süffig und schwer wie ein Messwein mit Gotteserscheinungsgarantie.

Die mit Love betitelte zweite CD ist als experimentell zu beschreiben. Field Recordings, mit Feedbacklärm und Fiepsen aus verstellten Radiofrequenzen überbacken. Ob es das braucht, darüber müsste man diskutieren. Oder auch nicht. (Karl Fluch, 17.7.2017)