Keine Seltenheit mehr: eine Demo gegen den Euro in Rom.

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Ist Italien wirklich ein Wackelkandidat?

Fatih

Ganze zwölf Stunden saßen sie beisammen, Abgeordnete und Anhänger der Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo, Ökonomen und politisch Interessierte, um zu streiten und zu diskutieren. Thema der Veranstaltung Anfang Juli im italienischen Parlament war eine Frage: Was würde Italien ein Euroaustritt bringen?

Das Treffen hat unter Investoren weltweit Beachtung gefunden. Der Londoner Finanzdienstleister Eurointelligence berichtete darüber in einem Newsletter, der an zigtausend Banker verschickt wird. Die Euro-Exit-Debatte in Italien sei nicht so interessant, weil sie so neu sei, heißt es in dem Schreiben, sondern weil sie plötzlich in aller Öffentlichkeit geführt werde: "Mehr Öffentlichkeit als im Parlament geht gar nicht."

In der italienischen Gesellschaft hat sich in den vergangenen Monaten ein Wandel vollzogen. Damit kein Zweifel aufkommt: Die Mehrheit der Bevölkerung und der Ökonomen ist nach wie vor der Ansicht, dass ein Italexit keine gute Idee ist. Doch während früher nur rechte und linke Exoten darüber diskutierten, ob Italien den Euro verlassen sollte, hat die Debatte inzwischen die gesamte Gesellschaft erfasst.

Menschen wie Antonio symbolisieren diesen Wandel besonders gut. Antonio ist Analyst bei einer der größten italienischen Investmentbanken. Seine Aufgabe ist, Finanzmärkte zu bewerten. Er gehört zur Wirtschaftselite des Landes. "Natürlich ist der Euro das Problem", sagt Antonio. Und: "Das ist nicht bloß meine Meinung. Das ist eine Tatsache."

Im Gegensatz zur Schuldenkrise ab 2010, als Griechenland, Portugal und Spanien über Nacht kaum noch an Kredite kamen, vollzieht sich Italiens Misere im Stillen. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist heute niedriger als zur Euroeinführung im Jahr 2002. Ursache dafür ist eine miserable Entwicklung der Produktivität.

Misere im Stillen

Seit Mitte der 90er-Jahre, als die Lira gegen andere europäische Währungen nicht mehr abgewertet werden durfte, stagniert die Arbeitsproduktivität. Die Industrie produziert heute weniger als Mitte der 1990er-Jahre. Die Arbeitslosenquote ist die dritthöchste der EU. Manche Ökonomen, besonders in Deutschland, argumentieren, Italiens Problem sei nicht die Währung, sondern die ungelösten Probleme im Bankensektor. Doch die Wirtschaftsflaute hat schon zu einer Zeit begonnen, als es den Banken noch gut ging. Daher deutet tatsächlich vieles darauf hin, dass die Gemeinschaftswährung Italiens Probleme wesentlich verstärkt hat.

Eine Idee, um das Drama zu beenden, lautet daher: Euroaustritt. Alberto Bagnai von der Universität Pescara zählt zu jenen Ökonomen, die den Italexit propagieren. Er hat soeben eine Studie vorgelegt, in der simuliert wird, was geschehen würde, wenn das Land den Euro verließe. Ergebnis: Nach fünf Jahren stünde Italien dank einer starken Abwertung der Lira gegenüber dem Euro (mehr als 20 Prozent) wirtschaftlich besser da als heute. Exporte würden steigen, weil Italiens Industrie im Vergleich zur deutschen günstiger würde.

Hohe Bankschulden

Aber was ist mit den Schulden? Italien hat einen Schuldenberg von mehr als 130 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Nur Griechenland und Japan sind noch höher verschuldet. Eine Warnung lautet, dass Italien nach dem Euro-Exit wegen dieser Verpflichtungen ins Chaos schlittern würde, weil das Land Euroschulden in Lire abbezahlen müsste. Mehr als zwei Drittel der Schulden halten eigene Banken, Bürger und die Zentralbank in Rom. Diese könnte der Staat in Lira konvertieren. Wenn die Lira abwertet, würde Italiens Schuldenlast daher real sinken. Was der Staat dadurch gewinnt, würde er wegen der verbleibenden Euroschulden verlieren. Der Euro-Exit wäre für den Schuldenstand ein Nullsummenspiel, so eine Analyse der Mediobanca.

Doch es kämen neue Probleme hinzu: Auf 670 Milliarden Euro – das ist zweimal Österreichs Wirtschaftsleistung – belaufen sich die Schulden von Italiens Banken im Ausland. Die Kreditinstitute würden unter dieser Last nach einem Euro-Exit nur überleben können, wenn der Staat sie auffängt. Um zu verhindern, dass Bürger ihr Geld ins Ausland tragen, ehe die Lira verfällt, wären zudem Kapitalverkehrskontrollen nötig.

Ruf nach mehr Spielraum

Damit die Lira nicht ganz an Wert verliert, müsste die Notenbank die Zinsen anheben, um Investoren anzulocken, sagt der Wiener Ökonom Vladimir Gligorov. Das würde Kredite für Firmen verteuern, Investitionen erschweren. Der Gewinn durch die Währungsabwertung könnte also verpuffen, warnen viele Ökonomen. Es gibt also auch gute Gründe, den Euro-Exit zu fürchten.

Italien sollte nicht den Euro verlassen, sondern darauf drängen, die Regeln zu ändern: So lautet deshalb eine alternative Idee, die auch der Analyst Antonio unterstützt. Italien müsse an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, sagt er. Steuern und Abgaben auf Arbeit sollten sinken, der Staat sollte Innovationen fördern. Das kostet Geld. Italiens Defizit würde in einer Übergangszeit auf vier oder fünf Prozent der Wirtschaftsleistung hochschnellen, glaubt Guglielmi. "Auch Deutschland hatte deutlich höhere Defizite, während die Hartz-IV-Reformen durchgeführt wurden." Doch die Fiskalregeln wurden in der Union erst vor kurzem verschärft, eine Aufweichung erscheint wenig realistisch. Die Deutschen profitieren vom derzeitigen System, daher werden sie einen Teufel daran tun, es zu ändern: So sieht das Antonio.

Parallelwährung für das Land

Als eine weitere Alternative im Land wird tatsächlich diskutiert, ob Italien eine Parallelwährung einführen sollte. Silvio Berlusconis Forza Italia, die Lega Nord und die Fünf-Sterne-Bewegung bekundeten Sympathien für solche Ideen. Die Konzepte sind vage. Im Grunde geht es darum, dass der Staat Unternehmen, die fleißig investieren, eine Gutschrift ausstellt. Mit dieser können die Firmen in zwei oder drei Jahren Steuerschulden begleichen. Die Gutschriften könnten in der Zwischenzeit als Zahlungsmittel genutzt werden – wie eine Währung.

Die Idee dahinter ist, dass man via Parallelwährung Geld zur Belebung in die Wirtschaft pumpen kann, ohne die Defizitregeln des Euroraumes zu verletzen. Mit Alternativwährungen wird bereits lokal experimentiert, auf Sardinien etwa gibt es den Sardex, den Unternehmer auf der Insel entwickelt haben und nutzen. Auch in Neapel existiert eine ähnliche private Initiative. Doch sind solche Experimente immer noch etwas anderes, als wenn das Finanz- oder Wirtschaftsministerium beginnen würde Gutscheine auszuteilen. Unklar ist, wie weit solche Ideen mit dem EU-Recht vereinbar wären.

Wie ernst zu nehmen diese Debatten sind, werden spätestens die kommenden Monate zeigen – wenn der Wahlkampf in Italien beginnt. Zuletzt sind immerhin die Prognosen ein wenig wenig besser geworden. Das Wirtschaftswachstum könnte über die Einprozentmarke klettern, schätzt etwa die Zentralbank in Rom am Freitag. Manche Ökonomen orten darin ein erstes Zeichen, dass die Euroskepsis übertrieben ist und das Land besser dasteht, als gedacht. Die Gegenposition lautet: Wenn Italien trotz niedriger Ölpreise, niedriger Zinsen, eines schwachen Euro und der Erholung im übrigen Europa nicht mehr Wachstum schafft, muss etwas grundlegend schief laufen im Land. (András Szigetvari, 17.7.2017)