Die TV-Debatte gegen Emmanuel Macron war Marine Le Pens letzte Chance – sie verpatzte den Auftritt.

Foto: AFP / Eferberg

Marine Le Pen, das war nach dem Brexit und der Trump-Wahl sozusagen der dritte populistische Schock, welcher der EU den Rest geben sollte. Die Geschichte und die französischen Wählerinnen und Wähler entschieden aber anders: Gewählt wurde am 7. Mai in Paris der proeuropäische Mittepolitiker Emmanuel Macron mit 66,1 Prozent der Stimmen, klar vor der Nationalistin (33,9 Prozent). Der Wahlausgang war keine Überraschung mehr – denn vier Tage zuvor hatte die Chefin des Front National im letzten, als entscheidend gehandelten TV-Duell auf ganzer Linie versagt. Statt mit ihrem aggressiven Auftritt zu punkten, entblößte sie ihre eigenen Schwächen; wie ein blutiger Amateur verwechselte sie die Dossiers vor ihr auf dem Tisch.

Als Erklärung für die blinde Angriffswut Le Pens hieß es vielenorts, die Französin habe wohl Donald Trump imitieren wollen, der die Demokratin Hillary Clinton ohne Rücksicht auf Argumente unter Dauerbeschuss genommen hatte. "Le Monde" weiß es nun besser und präziser: Le Pen litt unter einer Augenmigräne, die sie fast um die Vernunft brachte. "Bruno! Ich sehe nichts mehr auf meinem linken Auge!", habe sie zu Mittag des Debattentages ihren Berater Bruno Bilde angeschrien. Ein Anruf bei einem Augenarzt ergab eine Diagnose, aber keine Linderung. Ohnehin erschöpft von einer aufreibenden Kampagne, hatte Le Pen in der Vornacht nur eine Dreiviertelstunde geschlafen, schreibt "Le Monde Magazine".

Entscheidender Schlag

Ob somatisch oder nicht, verhinderte die Migräne auf jeden Fall die Vorbereitung auf das Duell. Le Pens Chefberater Florian Philippot versuchte mit ihr nochmals die zentrale Frage des Euro-Ausstieges durchzugehen – vergeblich. Andere Berater wollten in Panik den TV-Termin stornieren, als sie Le Pens miserable Verfassung sahen – doch die FN-Präsidentin hielt an dem Auftritt fest.

In der Sendung ging sie wie der Stier in der Arena sofort in den Angriff. Um ihre Schwäche zu kaschieren? Macron war es jedenfalls ein Leichtes, ihre Wissenslücken und Sachfehler in wichtigen Wirtschaftsdossiers bloßzulegen. Nach dieser Sendung war klar, dass Le Pen nicht Präsidentin Frankreichs werden würde.

Und nicht nur das: Wahrscheinlich schmälerte sie damit auch zukünftige Chancen und Aussichten – zum Beispiel bei der Wahl 2022. Die Wahl 2017 hat ihren zuvor unaufhaltsam scheinenden Aufstieg jedenfalls gebremst. Le Pen erzielte zwar ein Rekordergebnis von 10,6 Millionen Stimmen. Doch bei 35 Millionen Abstimmen- den zeigte sich in aller Klarheit, dass ein FN-Kandidat ohne Wahlallianz wohl nie mehrheitsfähig sein kann.

Furcht vor Frexit

Le Pens Debakel ist auch deshalb total, weil sie sich im TV-Duell sogar mit ihrem zentralen Anliegen des Euro-Ausstiegs verhedderte. Die Sehstörungen waren nicht allein schuld. Le Pen musste nach der Wahl einräumen, das Thema sei offenbar angsterregend, da sich viele Franzosen vor den konjunkturellen Folgen eines Frexits fürchteten.

Sündenbock in der Partei ist der FN-Vize Philippot. Der früher linksrepublikanische Quereinsteiger hatte Le Pens Weg in die politische Normalität inszeniert und steht bis heute voll zum Euroausstieg, obwohl dieser intern immer mehr unter Beschuss gerät. Bei einem zweitägigen Parteiseminar wird Philippot am Wochenende seinen Anti-Euro-Kurs verteidigen müssen. Er hat klargemacht, dass er die Partei verlassen würde, wenn sie den Euro-Austritt aus dem Programm striche.

Philippots Hauptfeind ist Jean-Marie Le Pen, der Vater von Marine, der im Hintergrund immer noch sein Unwesen treibt. Inhaltlich hat er allerdings auch keine Alternative anzubieten. Die Parteichefin müsste deshalb in der zentralen Frage des Euroaustritts ein Machtwort sprechen. Doch sie zaudert selbst. Trotz seines Rekordergebnisses im Mai scheint der Front National orientierungslos. Die Debatte hat die fachlichen Grenzen der Partei aufgezeigt. (Stefan Brändle aus Paris, 18.7.2017)

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