Fast wie eine Langzeitregentin ließ sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im ARD-Sommerinterview inszenieren. Sehr zum Leidwesen ihrer Gegner.

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"Frau Merkel sagt, dass sie auf Fragen, die ihr gestellt werden, antwortet", gab die Kanzlerin zurück. Doch Angela Merkel wirkte leicht gereizt, als sie dies sagte. Es war ihre Replik auf die Frage der Journalistin Tina Hassel im ARD-Sommerinterview vom Sonntagabend. Was halte sie, Merkel, eigentlich von den Vorwürfen an ihrer Person, sie würde Wahlkampfthemen fast beiläufig aus dem Weg räumen?, wollte Hassel wissen.

"Was sagt Frau Merkel zur angeblichen Methode Merkel?", versuchte die Journalistin eine Kontroverse zu eröffnen, welche die Kanzlerin mit ihrem einen Satz gar nicht erst aufkommen ließ. Dabei war Hassels Frage durchaus berechtigt – sie war wohl nur einfach falsch formuliert. Was hätte Merkel auch antworten sollen? Ja, ich gehe inhaltlichen Debatten aus dem Weg und bin damit immer gut gefahren?

Hassel spielte auf Merkels Kehrtwende in der Frage der Ehe für alle an. Kaum hatten FDP, Grüne und SPD das Thema zur Koalitionsbedingung gemacht, erklärte Merkel, über das Thema solle der Bundestag in einer "Gewissensentscheidung" befinden. Dabei war es die Union (CDU/CSU), die eine Abstimmung jahrelang verhindert hatte. Nun enthob Merkel die Mitglieder ihrer Partei vom Fraktionszwang, wenige Tage später wurde die Ehe für alle vom Deutschen Bundestag besiegelt.

Kritik am Regierungsstil

Nur wenige feierten Merkel für diese Wendung. Vielmehr wurde die Kritik am Regierungsstil medial lauter – nicht zuletzt auch initiiert durch die beim SPD-Parteitag geäußerte Kritik von Kanzlerkandidat Martin Schulz, der Merkel einen "Anschlag auf die Demokratie" unterstellt hatte. Schulz musste sich danach vorwerfen lassen, übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Dennoch: "In einer Demokratie zählt nicht nur das Ergebnis, sondern auch der Prozess, also der Weg zum Ergebnis", monierte etwa der Spiegel.

Wie dem auch sei: Indem Merkel politische Prozesse zumindest abkürzt, teilweise Themen der Konkurrenz übernimmt oder heikle Fragen kurzerhand und fast beiläufig aus dem Wahlkampf nimmt, hat SPD-Kanzlerkandidat Schulz einen schweren Stand. Erschwerend für die Genossen kommt hinzu, dass sich Merkel dem Wahlkampf mehr oder weniger verweigert. Auf Angriffe der SPD reagiert sie kaum, und auf Schulz' heftigen Vorwurf reagierte sie fast mitleidig, als sie sagte: "Wahrscheinlich ist Wahlkampf doch ganz schön anstrengend."

Auch am Sonntag, kurz vor Merkels ARD-Interview, ging Schulz bei einer Veranstaltung in Berlin in die Offensive und unterstellte Merkel mangelnde Visionen für Europa. Sie ließ das genauso an sich abprallen wie die Kritik ihres Vizekanzlers und Außenministers Sigmar Gabriel, als dieser den G20-Gipfel von Hamburg als "totalen Fehlschlag" bezeichnet und der Union "Verlogenheit" bei der Aufarbeitung der Gewalt unterstellt hatte.

Mehr Abgrenzung

Die Taktik der SPD, sich von Merkel abzugrenzen und dem Wahlkampf mehr Schärfe zu verleihen, ist bisher auch daran gescheitert, dass Merkel verbale Angriffe mehr oder weniger ignoriert.

Dabei würde das Programm der Sozialdemokraten durchaus Stoff für eine inhaltliche Auseinandersetzung bieten. Die SPD legte vor drei Wochen ein Wahlprogramm auf, das stark auf Gerechtigkeit, Investitionen in Bildung, Steuerentlastungen für untere Einkommen und bessere Bedingungen für Langzeitarbeitslose setzt. Weil Gerechtigkeit in einem Land, in dem es dem Gros der Menschen besser geht als vor einigen Jahren, alleine nicht zieht, legte Schulz am Sonntag noch eins drauf und stellte – sollte er zum Kanzler gewählt werden – konkrete Pläne für Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung in Aussicht.

Apropos Digitalisierung: Merkel findet die Vorschläge der Konkurrenz gar nicht schlecht: Im Sommerinterview mit der ARD betonte sie, dass auch ihre Partei Deutschlands Rückstand in der Digitalisierung beheben wolle. Dann fügte sie mit einem Lächeln hinzu: "Es ist doch schön, wenn es sich deckt, mit dem, was auch die SPD will." Martin Schulz wird sich darüber kaum gefreut haben. (Christoph Reichmuth aus Berlin, 18.7.2017)

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