Die Immunisierung gegen zehn Krankheiten soll zu Beginn des kommenden Schuljahres in Italien Pflicht werden. Doch viele Eltern wehren sich dagegen, dass ihre Kinder geimpft werden müssen.

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Bis Mitte Juli sind in Italien bereits mehr als 3.500 Personen an Masern erkrankt – sechsmal mehr als im gesamten Vorjahr. Neun von zehn Erkrankten waren nicht geimpft. Vor wenigen Tagen hat die Epidemie ein erstes Todesopfer gefordert: Im römischen Kinderkrankenhaus Bambino Gesù starb ein 16 Monate altes Mädchen an den Folgen der Krankheit. Das – ebenfalls nichtgeimpfte – Kind war schon von einer Hirnhautentzündung geschwächt, von der es kurz zuvor genesen war.

Angesichts der Epidemie, die bis heute nicht vollständig abgeebbt ist, hatte die Regierung von Premier Paolo Gentiloni bereits Ende Mai per Notrecht eine allgemeine Impfpflicht verfügt; das entsprechende Dekret wird – sofern sich eine politische Mehrheit dafür findet – in dieser Woche vom Senat in ein ordentliches Gesetz umgewandelt.

Die Impfpflicht gilt für insgesamt zehn Krankheiten, darunter die klassischen Kinderkrankheiten Masern, Mumps, Röteln und Windpocken, aber auch für Polio, Tetanus, Meningitis C und Diphterie. Die Impfungen sind für Kinder bis sechs Jahren obligatorisch. Sollte das Gesetz vom Senat und danach auch noch von der Abgeordnetenkammer beschlossen werden, würde es bereits zum Mitte September beginnenden neuen Schuljahr in Kraft treten.

"Versuchskaninchen"

Noch ist nichts beschlossen: Seit Verabschiedung des Dekrets Ende Mai laufen zehntausende Bürger Sturm gegen den Impfzwang. Jedes Wochenende werden Fackelumzüge und Demonstrationen organisiert; zur bisher größten Kundgebung vor gut einer Woche in Pesaro an der Adria kamen 40.000 Personen. "Mit dem Impfzwang werden unsere Kinder als Versuchskaninchen missbraucht", hieß es dort.

In Italien glauben immer mehr Leute an allerlei Schauermärchen, die sie in esoterisch angehauchten Internetforen und sozialen Medien lesen – etwa an die längst widerlegten Behauptungen, dass Impfungen zu Autismus führen könnten oder die eigene Immunabwehr schwächten.

Beppe Grillo protestiert mit

An vorderster Front der Impfgegner steht die Protestbewegung von Exkomiker Beppe Grillo. Italiens Verschwörungstheoretiker vom Dienst – Grillo misstraut auch den Kondensstreifen der Flugzeuge und hält die Apollo-Mondlandung für eine Propagandainszenierung der USA – bezeichnet den Impfzwang als "Milliardengeschenk an die Pharmaindustrie" und unterstellt der Regierung indirekt, von "Big Pharma" gekauft worden zu sein. Zusammen mit der Lega Nord, die den Impfzwang ebenfalls ablehnt, hat Grillos Fünf-Sterne-Bewegung im Senat hunderte Abänderungsanträge eingereicht, um die Verabschiedung des Gesetzes zu verschleppen oder ganz zu verhindern.

In einigen besonders umstrittenen Punkten ist die Regierung den Impfgegnern bereits entgegengekommen. Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, müssen nun nicht mehr befürchten, dass ihnen die Obsorge entzogen wird, wie ursprünglich angedroht. Auch Bußen wurden stark reduziert: Statt 7.500 Euro beträgt die höchste Strafe noch 500 Euro. An einer anderen Sanktion hat Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin festgehalten: Nichtgeimpfte Kinder sollen nicht mehr in Krippen, Kindergärten und Vorschulklassen aufgenommen werden.

Höhere Impfrate als in Österreich

Paradoxerweise ist in Italien die Impfrate relativ hoch: Die Zahl der gegen Masern geimpften Personen ging zwar in den vergangenen Jahren zurück, beträgt aber immer noch 87 Prozent. In den deutschen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg liegt die Impfrate dagegen zum Teil unter 50, in Österreich bei 80 bis 85 Prozent, in der Schweiz bei 87 Prozent.

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent: Damit werde der sogenannte Herdenschutz erreicht, der auch Personen vor einer Ansteckung schütze, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Die WHO gab am Montag bekannt, dass etwa eines von zehn Babys im vergangenen Jahr keine einzige Impfung bekommen haben. Das waren rund 12,9 Millionen Kinder.

Wie irrational viele Menschen beim Thema Impfungen reagieren, hat sich in Italien – mit umgekehrten Vorzeichen – vor einem halben Jahr gezeigt: Nachdem im November eine 24-jährige Studentin an Meningitis C gestorben war, brach eine regelrechte Impfpsychose aus: Tausende rannten in die Arztpraxen und Ambulatorien, um sich gegen die Krankheit impfen zu lassen.

Wenn schon, dann Grippe

Dabei, betonte damals der Präsident des nationalen Sanitätsinstituts, Walter Ricciardi, hat es weit und breit keine Hinweise auf eine Häufung von Meningitis-C-Fällen gegeben. Wenn, dann sollten sich vor allem ältere Erwachsene gegen die Grippe impfen lassen, die in Italien jedes Jahr mehr als 7.000 Todesfälle verursache. (Dominik Straub aus Rom, 18.7.2017)