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Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und sein ungarischer Amtskollege Viktor Orbán trafen sich am Dienstag in Budapest.

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Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat am Dienstag die Mitwirkung Ungarns am Holocaust deutlicher verurteilt, als man es von ihm gewohnt ist. Anlass und Auslöser waren der Besuch des israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu in Budapest. "Ungarn hat ein Verbrechen begangen, als es, anstelle die jüdische Gemeinschaft zu verteidigen, mit den Nazis kollaboriert hat", erklärte er auf der gemeinsamen Pressekonferenz im Budapester Parlamentsgebäude.

Unter dem ungarischen Staatschef und Hitler-Verbündeten Miklós Horthy (1868-1957) hatten die ungarischen Behörden im Zusammenspiel mit Adolf Eichmanns Sonderkommando eine halbe Million ungarische Bürger jüdischer Herkunft nach Auschwitz deportiert. Die meisten von ihnen kamen dort in den Gaskammern um.

Zweigleisige Politik

Als gewiefter Rechtspopulist fährt Orbán zweigleisig. Am Holocaust-Gedenktag, der unter seiner ersten Regierung (1998-2002) eingeführt worden war, äußert er sich oft kritisch zur Rolle von Ungarn unter Horthy. Der Holocaust sei "eine Tragödie für die ungarische Nation und ein nicht wieder gutzumachender Verlust für die ungarische jüdische Gemeinschaft" gewesen, meinte er im Jahr 2015. Auch das Wort "Verbrechen" kam ihm mitunter über die Lippen. Dass dieses auch darin bestand, dass das damalige Ungarn mit den Nazis kollaborierte, hat er bisher so deutlich nicht gesagt.

Für Orbáns Kritiker handelt es sich dennoch um ein Lippenbekenntnis. Das zweite Gleis, das er ihnen zufolge viel häufiger befährt, sei die Instrumentalisierung geschichtsrevisionistischer Ideologien und antisemitischer Stimmungen. Tatsächlich hat er erst vor zwei Wochen Miklós Horthy als "außerordentlichen Staatsmann" gerühmt. Just am Dienstag erschien das Regierungsblatt Magyar Idök mit einem Leitartikel unter dem Titel "Wandernde Juden". Als "unsere wandernden Juden, die keine Ruhe finden", diffamierte der Autor jene Menschen jüdischer Herkunft, die es wagen, den Ministerpräsidenten zu kritisieren – unter ihnen die Führer des Verbands der jüdischen Glaubensgemeinschaften Mazsihisz. Der "wandernde" oder "Ewige Jude" gilt als Stereotyp des klassischen Antisemitismus.

Wirbel um Plakatkampagne

Orbáns Worte, wonach er mit "null Toleranz" gegen Antisemitismus vorgehen würde, sind insofern von fraglichem Wert. Er kann beispielsweise schlecht die eigene Plakatkampagne bekämpfen, mit der der US-Milliardär und Förderer der Zivilgesellschaft, George Soros, dämonisiert wird. Optik und Aussage der Plakate lassen antisemitische Konnotationen mitschwingen, wie auch zahlreiche hinzugefügte Kritzeleien aufgestachelter Bürger (etwa: "Drecksjude!") zeigen. Orbáns Kreise beschuldigen Soros, Millionen Migranten nach Europa verschiffen zu wollen und zu diesem Zwecke die Zivilorganisationen mit Geld zu überschütten.

Die Plakate hingen seit Anfang des Monats fast überall. Nicht nur der Mazsihisz, sondern auch der israelische Botschafter in Budapest, Yossi Amrani, bat die Regierung im Vorfeld des Netanjahu-Besuchs, die Plakataktion zu stoppen. Pikanterweise schickte das Außenministerium in Jerusalem eine "Klarstellung" nach, in der es betonte, dass es in Ordnung sei, Soros anzugreifen, weil dieser auch ein "Feind Israels" sei. In der Tat unterstützt er NGOs, die die Besatzung des Westjordanlands und die Siedlungspolitik Israels kritisieren.

Das Gesicht wahren

Netanjahu, der nebenbei auch Außenminister ist, stärkte Orbán bewusst den Rücken. Möglicherweise gab es aber gesichtswahrende Absprachen. Denn seit dem Wochenende verschwinden, nach gerade einmal zwei Wochen, die Anti-Soros-Plakate aus dem Landschafts- und Stadtbild. Am Dienstag waren nur noch wenige zu sehen. Aus einem dürren Kommuniqué des Regierungspresseamts verlautete vergangene Woche, dass die Kampagne lediglich für zwei Wochen geplant gewesen sei. Frühere Plakataktionen, mit denen immer wieder auch gegen Flüchtlinge gehetzt worden war, hatten sich allerdings über viele Wochen hingezogen. (Gregor Mayer aus Budapest, 18.7.2017)