Filmregisseur Luc Besson hat in "Valerian" die Utopie eines zivilen Föderalismus entworfen.


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Ein intergalaktisches Meet and Greet, begleitet von David Bowies unverwüstlicher Space Oddity, gibt den Pfad für die Zukunft vor. Jede ausgestreckte Hand wird gedrückt, das Gegenüber mag noch so viele Köpfe haben. Eine an Star Trek erinnernde Utopie des Föderalismus herrscht in Luc Bessons Space-Opera Valerian – Die Stadt der Tausend Planeten vor, und doch ist alles noch trashiger, poppiger und ausgelassener in diesem Miteinander von Mensch und Alien im 28. Jahrhundert.

Dane DeHaan und Cara Delevingne sorgen als Menschenpaar für Ordnung im Gewusel aus CGI-Aliens.
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Die Vorlage, eine Comicserie (1967 ff.), stammt von Jean-Claude Mézières und Pierre Christin. Der auf Science-Fiction geeichte Besson (The Fifth Element, Lucy) hat sieben Jahre an der Umsetzung gefeilt. Das Ergebnis ist ein Abenteuerparcours, rücksichtslos eklektisch, aber auch hemmungslos unterhaltsam. In den Hauptrollen sorgen Cara Delevingne und Dane DeHaan als Menschenpaar für Ordnung im Gewusel aus CGI-Aliens.

STANDARD: Sie waren als Kind schon Fan der Vorlage. Wie nah sind Sie dem Original gekommen?

Besson: Ironischerweise habe ich nie an eine Verfilmung gedacht. Der Comic war ein kleiner Schatz aus meiner Kindheit, nicht mehr. Als wir The Fifth Element gedreht haben, sagte Jean-Claude Mézières jedoch zu mir, warum ich diesen dämlichen Film und nicht gleich Valerian machte. Ich ließ mir das durch den Kopf gehen und sagte: "Weil es unmöglich ist." Drei Figuren und zweitausend Aliens, das war vor 20 Jahren technologisch nicht zu machen. Zehn Jahre später sicherte ich mir jedoch die Rechte. Ich ließ mir Zeit. Als dann Avatar in die Kinos kam, war mir bewusst, dass die Vorstellungskraft die letzte Grenze ist.

STANDARD: Sind Sie jemand, der mit der Vorstellung spektakulärer Szenen beginnt? Etwa mit dieser furiosen Actionsequenz zu Beginn?

Besson: Nein, obwohl ich diese Szene bereits vor 15 Jahren geschrieben habe. Ich las damals einen Artikel darüber, wie verschiedene Dimensionen in einer einzigen enthalten sein können. Zum Beispiel könnte man ein Hotelzimmer zeigen, das durch Wände definiert wird, und dann würde man Thermobrillen aufsetzen und könnte die Menschen sehen, die sich durch das Haus bewegen – jenseits dieser Wände. Ich habe also bereits zwei Realitäten. Es ist wie bei einer Schlange, die die Wärmegrade ihrer Beute sieht.

STANDARD: Für so eine Umsetzung braucht es Geld. Wurde "Valerian" deshalb der teuerste unabhängig produzierte Film aus Europa – mit fast 200 Millionen Euro Budget?

Besson: Zuerst kommt bei mir immer die Geschichte, nicht die Technik – ohne das "Es war einmal" geht gar nichts. Ich versuche den Film stets so zu realisieren, dass es dem, was ich vorhatte, nicht widerspricht. Der Begrüßungsreigen der Aliens zu Beginn besteht etwa aus fünf Interaktionen. Das war die richtige Zahl, keine Budgetvorgabe.

STANDARD: Stimmt es, dass Sie sich auch an Schulen mit der Bitte gewandt haben, Aliens zu erfinden?

Besson: Ja, an Designschulen. Wir sagten ihnen aber nicht, um welchen Film es sich handelt, sondern fragten nur nach einem Alien, nach einem Raumschiff und einer bestimmten Welt. Wir haben zweitausend bekommen und zehn von den Zeichnern dann ins Team übernommen. Man sieht sehr schnell, ob dir der Typ den gleichen Käse wie aus einem Marvel-Film anbietet, oder ob er wirklich originell ist.

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STANDARD: Im Unterschied zu Marvel: Was macht denn einen Besson-Film unverwechselbarer? Eine andere popkulturelle Ausrichtung?

Besson: Ich würde sagen, dass es zwei Arten von Regisseuren gibt: solche, die es lieben, Dinge eigenhändig zu gestalten, Künstler und Handwerker, die Gold auf das Möbel auftragen; und solche, die es bloß vergolden. Das ist nicht der gleiche Job! In einer US-Großproduktion spricht der Regisseur fünf Minuten mit den Schauspielern, und die Second Unit besorgt die Actionszenen. Ich habe keine Second Unit, ich mache alles selbst. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich werfe den anderen nichts vor. Aber in Avatar kann man James Cameron auch fühlen. Dasselbe gilt für George Lucas in den ersten Filmen. Bei Avengers, Spider-Man, Iron Man weiß ich am Ende nicht einmal, wer der Regisseur war.

STANDARD: Sie haben nie innerhalb eines Studios gearbeitet?

Besson: Ich habe sehr gut mit ihnen gearbeitet. Aber ich werde niemals für sie arbeiten.

STANDARD: Weil man seine Freiheit einbüßt?

Besson: Wenn man für das Studio arbeitet, macht man deren Film. Und wenn sie mit dir nicht zufrieden sind, feuern sie dich. Mich wird niemand feuern.

STANDARD: Wenn man diese Philosophie des Eigensinns auf "Valerian" überträgt: In der Weise, wie diese Wesen zusammenarbeiten, kann man vielleicht auch ein Modell wie die EU erkennen.

Besson: Für mich geht es zuallererst darum, die Zukunft glücklich und farbenfroh darzustellen. Ich kann keine ernsten Superhelden mehr sehen. Hier gibt es tausende Aliens, und alle leben in diesem Ort namens Alpha gemeinsam, in einer Stadt, die zugleich Wall Street, Shibuya und Pigalle ist. Damit müssen sie zurande kommen: Es geht zu wie in einem fröhlichen Bordell. Alpha hat eine kosmopolitische Vision, an der ich liebe, wie alle Wesen darin ihr Wissen und ihre Kultur austauschen.

STANDARD: Die Menschen haben allerdings auch hier einiges an Schuld angehäuft ...

Besson: Gewiss, die Geschichte selbst dreht sich mehr um uns selbst, weil wir gut und zugleich böse sind – das ist sehr zeitgenössisch. Wir sind zynisch geworden, können die Wahrheit nicht mehr aussprechen. Volkswagen hat dafür geworben, wie sauber ihre Autos sind. Sie haben uns vorgemacht, dass sie den Planeten retten! Und dann entdeckt man, was wirklich abgeht. Ich kenne Leute in Paris, die im Gefängnis sitzen, weil sie Essen gestohlen haben, und die Verantwortlichen bei VW laufen immer noch frei herum. Das ist widerwärtig. Das ist auch ein bisschen die Geschichte des Films. Die Menschheit hat gravierende Fehler gemacht, und man sollte entsprechend dafür Verantwortung übernehmen. (Dominik Kamalzadeh, 19.7.2017)