Der Justizminister nannte die Gerichtsentscheidung "unerfreulich", der Regierungssprecher sagte einen Eintrag im "schwarzen Buch" der griechischen Justiz voraus. Doch die Anarchisten und Autonomen konnte die linksgeführte Regierung in Athen zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr bremsen. In der Nacht auf Mittwoch gab es die zweiten Krawalle in dieser Woche in der Athener Innenstadt.

Auslöser war eine knappe Entscheidung eines Berufungsgerichts, das am Montag mit drei gegen zwei Stimmen für die weitere Inhaftierung einer 29-jährigen Doktorandin stimmte. Die junge Frau war im Vormonat zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil sie der "Verschwörung der Feuerzellen" angehören soll, einer Terrorgruppe, die sich zu einer Serie von Briefbomben bekannt hatte.

Umstrittenes Urteil

Die Beweislage gilt aber als so dürftig, dass eine Widerrufung des Urteils durch das Berufungsgericht erwartet worden war. Justizminister Stavros Kontonis will nun in einem zweiten Berufungsvefahren die Freilassung der angeblichen Terroristin erreichen, von der bisher nur der Vorname Irianna bekanntgemacht wurde.

Iriannas selbsterklärte Unterstützer hat das nicht beeindruckt. Sie stürmten nach der Urteilsverlesung am Montag aus dem Gerichtsgebäude an der Leoforos Alexandras, randalierten auf dieser wichtigen Verkehrsstraße der Hauptstadt und sammelten sich am Abend dann in der Athener Altstadt zu einer Protestkundgebung.

"Hände weg von unseren Leben": Demonstration gegen das umstrittene Urteil in Athen.
Foto: APA/AFP/LOUISA GOULIAMAKI

Der Termin war auf athens.indymedia.org bekanntgemacht worden, einer der einschlägigen Webseiten der Anarchistenszene. Dass die griechische Polizei dennoch unvorbereitet war auf das, was dann folgte, bringt die Regierung von Alexis Tsipras wieder einmal in Bedrängnis.

Bürgermeister empört

Ein harter Kern von 150 Anarchisten zog nach der Protestversammlung die "Ermou" entlang, Athens Einkaufsmeile, und schlug die Schaufenster der meisten Läden ein. Nur Stunden später stellten die rabiaten jungen Männer ein sorgfältig editiertes Video des Vandalenzugs für die interessierte Öffentlichkeit ins Internet.

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Die Gesetzlosigkeit in der Stadt müsse ein Ende haben, forderte Athens Bürgermeister Giorgos Kaminis, ein parteiloser, von Sozialisten und Grünen unterstützter Verfassungsrechtler.

Kaminis' Vorwürfe wenden sich gegen die Regierung. Der linksgerichtete Ministerpräsident und seine Partei Syriza beschwichtigten die Anarchistenszene und schafften ein Klima, in dem sich der Terrorismus halten könne, so hämmert es vor allem die konservative Presse unablässig ihren Lesern ein. Exarchia, das bevorzugte Wohnviertel der Anarchisten in Athen, sei zu einer rechtsfreien Zone geworden, so heißt es gern; Polizeistreifen dürften hier auf Anweisung von oben nicht mehr hinein. Das ist wohl übertrieben – am Dienstag erst kam es in Exarchia wieder zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Anarchisten. Doch Banken und Geldautomaten gibt es längst nicht mehr im Viertel, und auch die griechische Post unterhält dort nur noch eine Nebenstelle in einem Lebensmittelladen.

Immer wieder kommt es in Exarchia zu Auseinandersetzungen mit der Polizei (Archivbild aus dem Dezember des Vorjahres).
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Wer über die Plateia Exarchia geht, den Hauptplatz des Viertels mit seinen vielen bunten Cafés und den vollgesprayten Hauswänden, der hat das vielleicht alles schon einmal gesehen: Mariannenplatz und Muskauer Straße, Kreuzberg, SO 36, in Berlin in den 1980er-Jahren. Nur eben jetzt in Athen. Die selbsternannten Kämpfer gegen das "Schweinesystem" leben hier, mit ihrem Dresscode, der Hackordnung im Viertel und reichlich versorgt mit jungen revolutionären Geistern von Warschau bis Zürich und Madrid. Die Hausbesetzungen gibt es nun, um Flüchtlinge unterzubringen. Die Straßenschlachten mit der Polizei sind eine Art verlängerter Protest gegen die Sparpolitik und den griechischen Staat, der seinen Kreditgebern gehorcht.

Syrische Flüchtlinge in Exarchia.
Foto: APA/AFP/LOUISA GOULIAMAKI

Alexis Tsipras und seine Regierung finden in Exarchia in Wahrheit nur wenig Sympathie. Linke Kritiker des Regierungschefs haben von Beginn an darauf hingewiesen, dass Tsipras Schlüsselministerien mit Personen besetzt habe, die nicht aus seiner Syriza stammen: Außenminister Nikos Kotzias, Bürgerschutzminister Nikos Toska, ein Ex-General, und natürlich Verteidigungsminister Panos Kammenos. Er führt die rechtspopulistische Kleinpartei Unabhängige Griechen an. (Markus Bernath aus Athen, 19.7.2017)