Bei Robert Rauschmeier und Alex Bailey zum Thema Männlichkeit.

Foto: Emilia Milewska

Wien – Ganze fünf choreografische Performances aus der österreichischen Tanzszene waren bereits während der ersten Impulstanz-Woche zu sehen. Sie alle enthalten mit Appetit verbundene Botschaften. Besonders das Stück Consumption As A Cause Of Coming Into Being von Roland Rauschmeier und Alex Bailey, das im April bereits im Brut-Theater zu sehen war und von Impulstanz glücklicherweise noch einmal im Schauspielhaus gezeigt wurde. Darin frisst sich die traditionelle Männlichkeit in ihrem Begehren, anders zu werden, selbst auf.

ImPulsTanz

Unter diesem Hunger leiden Lisa Hinterreithner und Rotraud Kern nicht. Doch ihre Arbeit Do-Undo innerhalb der Mumok-Schau Rumors and murmurs von Martin Beck nahm das Publikum als Teil seiner Sache zu sich. Körper im Zustand der Verdauung durch die ätzenden Säfte ihrer Selbstbespiegelung zeigten im Kasino am Schwarzenbergplatz Costas Kekis, Anna Prokopová und Petr Ochvat. Bei ihrem Trio It beats soft in the veins taumeln summende Reste von Gestalten, die sich in ihrer Fantasiewelt auflösen.

Unterschiedliche Tanzideologien

Doris Uhlich tat sich mit Michael Turinsky zu einem Seismic Night betitelten Rezyklat ihrer beiden früheren Stücke Universal Dancer und Ravemachine zusammen. Die Botschaft im Odeon hätte sein können: Von den anschwellenden Körpererweiterungen der Gegenwart werden wir alle gleichermaßen aufgefressen. Leider ist das in seiner Umsetzung nicht ganz aufgegangen. Und Liz King schließlich zeigte in ihrem jüngsten Werk Out of Life in der Aula der Akademie der bildenden Künste, dass unterschiedliche Tanzideologien in kannibalistischen Verhältnissen zueinander existieren.

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Zurück zu Rauschmeier und Bailey, die mit zubeißender Ironie auf die Selbstkonsumtion der Männerherrschaft reagieren. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht der sogenannte Kannibale von Rotenburg, der 2001 als ultimativen Sexualakt einen Mann verzehrte, der sich dafür freiwillig zur Verfügung gestellt hatte. Das Ereignis war, als es ans Licht der Öffentlichkeit gelangte, ein Festschmaus für den Medien-Boulevard. Aber davon ist im Stück nicht die Rede. Vielmehr wird angedeutet, was Vereinsamung und Ungeliebtsein aus Männern machen können und wie banal der Ablauf dieser Tat klingt, wenn er nur nüchtern genug erzählt wird.

Köder für die Bühne

Im übertragenen Sinn ist Kannibalismus ein stehendes Prinzip der menschlichen Kulturen – seit der Antike mit einem berühmten Plautus-Zitat aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus, das im 17. Jahrhundert von Thomas Hobbes als "homo homini lupus" wieder aufgegriffen wurde: Der Mensch sei des Menschen Wolf. Mahlzeit, liebes Rotkäppchen. Die Metapher hat nichts an Aktualität eingebüßt, auch dort, wo sie erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist. Das kann befruchtende Situationen zur Folge haben, etwa wenn verschiedene Kunstgenres aneinander knabbern wie derzeit Performance und bildende Kunst.

Meist aber sind die Szenarien sinister in ihrer Symbolik, wie bei Kekis, Prokopová und Ochvat, die sich in ihrer Sehnsucht, mit der "Poetik der Bühne" zu verschmelzen, zu Ködern für die Bühne machen. Und die ist ein gefräßiges, sehr menschliches Maul. Wer sich dessen nicht bewusst ist, wird mit Haut, Wort und Tanz verschlungen. Das kann ungeheure Lust, aber auch sehr schmerzlich sein. (Helmut Ploebst, 20.7.2017)